„Die Kinder sind dicker aus der Pandemie zurückgekommen“

Lars Sperling sitzt unter der Woche beim Landessportbund Berlin (LSB) in Schöneberg und hat viel zu erzählen. Es geht um die Folgen der Coronavirus-Pandemie auf den Sport. An seine vielen Notizzettel hat Sperling gelbe Marker geklebt. Er ist gerade bei der Hälfte seines Vortrages, als er gebeten wird, doch so langsam mal zum Ende zu kommen, damit auch noch andere das Wort ergreifen können.

Sperling ist der Geschäftsstellenleiter des Judovereins Kaizen Berlin und hat in den vergangenen Jahren viel erlebt. Das Virus, die Maßnahmen zum Infektionsschutz, die Vereinsaustritte, die Strategien zur Rückgewinnung der ehemaligen Mitglieder, finanzielle Sorgen, bürokratische Anstrengungen, um diese abzumildern und, und, und. Sperling musste viel Leidenschaft und Energie aufwenden, um den Laden am Laufen zu halten. Deswegen hat er nun so viele Zettel mit dabei.

Es ist aber vor allem ein Satz von ihm, der haften bleibt: „Die Kinder sind dicker aus der Pandemie zurückgekommen.“ Wie viele andere gesellschaftliche Teilbereiche musste auch der Sport in den vergangenen Jahren leiden. Er wurde, speziell in der Breite, heruntergedimmt, über lange Phasen komplett ausgesetzt. „Der Sport hat ja stattgefunden. Die Eisbären, die Füchse oder Hertha haben gespielt“, sagt LSB-Präsident Thomas Härtel. So sei der Eindruck entstanden: Der Sport habe nicht besonders gelitten. „Die vielen Kinder und Jugendlichen haben aber gelitten.“ Sprich: Auf den Leistungssport wurde Rücksicht genommen, auf den Breitensport weniger.

Dabei hat Härtel zusammen mit LSB-Direktor Friedhard Teuffel die Presserunde mit ein paar Vereinsvertretern zusammengetrommelt, um gute Neuigkeiten aus dem Berliner Sport zu verbreiten. Und die gibt es: Der Sport in der Hauptstadt bewegt sich wieder, er wächst sogar. Von den 33.000 Mitgliedern, die im ersten Pandemiejahr die Vereine verlassen haben, sind zwei Drittel wieder zurückgekehrt. Die Berliner Vereine zählen aktuell 684.298 Mitglieder. Das ist ein Zuwachs von 3,4 Prozent respektive der Schnapszahl von 22.222 Mitgliedern gegenüber dem Vorjahr. Die Zahlen sind das Ergebnis der LSB-Statistik zum Stichtag 1. Januar 2022.

Massive Einbrüche in den Mitgliederzahlen

Gutes haben auch die bestellten Vereinsvertreter wie Sperling zu berichten. Massive Einbrüche in den Mitgliederzahlen habe es in der Vollkontaktsportart Judo, so auch bei Kaizen gegeben, berichtet Sperling. Inzwischen seien die Verluste wettgemacht worden. Und nicht nur das: Kaizen konnte noch ein paar Trainerstellen dazugewinnen. Der Verein ist sogar gestärkt aus der Pandemie herausgekommen.

Die Not schweißt zusammen – und macht erfinderisch. Digitale Trainingsvideos sollten das normale Training vor Ort, das nicht mehr erlaubt war, ersetzen. Vor allem aber: „Wir haben in der Zeit so viel miteinander kommuniziert wie noch nie“, erzählt Sperling.

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Und Christopher Krähnert vom Berliner TSC in Prenzlauer Berg schafft es inzwischen nicht einmal, „die Warteliste abzuarbeiten“. Es wollen mehr Menschen in seinen Verein, als er aufnehmen kann. „Wenn wir mehr Möglichkeiten hätten, wäre es kein Problem, unsere Mitgliederzahlen zu verdoppeln“, sagt er. Krähnert meint damit auch die zur Verfügung stehenden Sportstätten, aber auch das Personal.

Profivereine wie die Füchse Berlin durften während der Pandemie unter bestimmten Bedingungen weiter stattfinden.Foto: imago images/Nordphoto

Besondern die ehrenamtlichen Trainer und Helfer laufen dem Sport in der Breite davon. Die Pandemie verstärkte diese Entwicklung. „Die Frage des Ehrenamts wird künftig eine zentrale Rolle bei uns spielen“, sagt LSB-Präsident Härtel. Hinzu kommt noch, dass die Schulen, die unter Lehrermangel leiden, dem organisierten Sport immer mehr Trainerinnen und Trainer abwerben. Dennoch: Nach den Jahren des pandemiebedingten Frusts herrscht Aufbruchstimmung im Breitensport.

Die Vereinsaustritte im Gesundheitssport wurden bis heute nicht ausgeglichen

Doch nicht für alle Vereine lief es so gut wie für Kaizen oder den Berliner TSC. Ein Anruf bei Sabine Hürdler von Vital Lichtenberg. „Ob wir gut durch die Pandemie gekommen sind, sei mal dahingestellt“, sagt sie. „Wir haben immer noch damit zu kämpfen.“ Vital Berlin bietet Gesundheitssport an, also Präventions- oder Rehabilitationskurse. Die Mitgliedschaften bei Vital sind wie bei anderen Vereinen mit einem ähnlichen Portfolio stärker kursgebunden. Das heißt, fällt ein Kurs aus, gibt es für die Mitglieder wenig Gründe, weiter dabei zu bleiben. So ist es im Gesundheitssport zu massiven Vereinsaustritten gekommen, die bis heute nicht ausgeglichen werden konnten. So auch bei Vital Berlin.

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Sabine Hürdler berichtet von vielen harten Monaten bei Vital Berlin. Der für viele Menschen so wichtige Sport konnte über etliche Monate teils gar nicht, teils sehr reduziert angeboten werden. Auch für die Trainerinnen und Trainer war es eine harte Zeit. Die Kursteilnehmerzahlen wurden wegen der Maßnahmen zum Infektionsschutz deutlich verringert, infolgedessen musste die Anzahl an Kursen erhöht werden. „Mitunter mussten die Trainerinnen und Trainer doppelt so viele Kurse wie vor der Pandemie geben“, erzählt Hürdler. „Bei gleicher Entlohnung.“ Zu viel klagen will Hürdler aber nicht. Im Gegenteil, sie ist auch dankbar. „Ohne die öffentlichen Zuwendungen für den Sport würde es uns nicht mehr geben.“

Für Vital geht es nun darum, verlorene Mitglieder zurückzugewinnen. Die Tendenz geht in die richtige Richtung. Für den gesamten organisierten Berliner Sport trifft das ohnehin zu.