Die Formel 1 und der Terror
Die riesige Rauchwolke des Raketen-Angriffs hing auch am Tag danach noch am Himmel nahe der Formel-1-Strecke von Dschidda. Doch nach heftigen Diskussionen wohl auch über einen Boykott der Fahrer hatten die Grand-Prix-Macher von Saudi-Arabien am frühen Samstagmorgen ihr Rennen gerettet. Die besorgten Piloten ließen sich überzeugen, der Weltverband Fia und die Formel-1-Bosse verkündeten: Alles läuft weiter wie geplant.
Umfassende Sicherheitsgarantien der saudischen Regierung seien der Grund für die Entscheidung, teilten die Fia und die Rennserie am Samstag gemeinsam mit. Kurz darauf übermittelte auch die Gewerkschaft der Piloten ihren Willen zur Teilnahme am zweiten Saisonlauf an diesem Sonntag (19 Uhr/Sky). Erst um 2.30 Uhr Ortszeit hatten alle Parteien am Samstagmorgen eine Übereinkunft erzielt.
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Der Sport rückte in den Hintergrund. Das änderte sich beim Qualifying, als Mick Schumacher einen schweren Unfall erlitt. Der 23-Jährige krachte im Haas mit hoher Geschwindigkeit seitlich in die Streckenbegrenzung. Das Auto wurde quer über die Strecke geschleudert und kam dann schwer beschädigt zum Stillstand.
Die Qualifikation wurde sofort unterbrochen. Nach Angaben seines Rennstalls war Schumacher kurz nach dem Crash bei Bewusstsein und konnte das Auto verlassen. Er habe keine schweren Verletzungen erlitten, teilte Haas später mit. Schumacher wurde jedoch für weitere Untersuchungen ins Streckenhospital gebracht.
Tags zuvor hatte der Schock über den Einschlag einer Rakete in eine nur wenige Kilometer entfernte Ölanlage des Formel-1-Hauptsponsors Aramco im Fahrerlager tief gesessen. Huthi-Rebellen hatten am Freitag mehrere Ziele in Saudi-Arabien angegriffen. Hintergrund ist der Krieg im Jemen, den das erzkonservative Königreich seit sieben Jahren mit großem militärischen Aufwand gegen die aufständischen Huthis führt. Die Folge: Das Armenhaus der arabischen Welt wird von einer der verheerendsten humanitären Katastrophen weltweit heimgesucht.
Vier Stunden lang wurde beraten
„Gestern war ein schwieriger Tag für die Formel 1 und ein aufreibender Tag für uns Formel-1-Fahrer“, teilte die Fahrervertretung GPDA mit. „Es war schwierig, ein voll konzentrierter Rennfahrer zu bleiben und alle natürlichen menschlichen Bedenken auszuschalten, wenn man den Rauch von dem Vorfall gesehen hat“, hieß es weiter.
Nach den beiden Freitagstrainings berieten die Fahrer mehr als vier Stunden, wie es weitergehen soll. Teilweise waren auch Formel-1-Chef Stefano Domenicali, Sportchef Ross Brawn und einige Teambosse dabei. Eine „große Breite von Meinungen“ sei diskutiert worden, hieß es.
Dem Vernehmen nach erklärten die Funktionäre den Piloten auch die möglichen Folgen einer vorzeitigen Abreise. Angeblich kassiert die Rennserie für den Zehnjahresvertrag mit Saudi-Arabien Antrittsgelder von insgesamt 900 Millionen Dollar. Das Versprechen für eine maximale Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen habe letztlich zu einer Lösung geführt, teilte die GPDA mit. Der Ton des Statements lässt offen, ob wirklich alle Fahrer voll hinter dem Beschluss stehen.
Ex-Pilot Ralf Schumacher entschied sich anders und trat die Heimreise an. Der Sky-Experte und Kommentator Sascha Roos machten sich am Samstagmorgen auf den Weg zurück nach München. Der TV-Sender hatte es all seinen Mitarbeitern freigestellt, ob sie in Dschidda bleiben wollen.
Der neue Weltverbandschef Mohammed Ben Sulayem hatte zuvor beteuert, die Formel 1 sei nicht das Ziel der Attacken. „Sie zielen auf die Infrastruktur, nicht die Zivilisten und natürlich nicht auf die Strecke“, sagte der 60-Jährige aus Dubai. Dies sei überprüft worden.
Mit dieser Einschätzung dürfte Sulayem wohl richtig liegen. Die vom Iran hochgerüsteten Huthis greifen Saudi-Arabien immer wieder mit bewaffneten Drohnen und Marschflugkörpern an. Bevorzugte Ziele sind Einrichtungen der Infrastruktur, vor allem Produktionsanlagen und Lagerhallen für die Ölindustrie, die der Golfmonarchie als Haupteinnahmequelle dient.
Eine Schmach für den saudischen Kronprinzen
Jeder gelungene Angriff ist zudem eine Schmach für Kronprinz Mohammed bin Salman, der de facto über das Land herrscht. Denn er kann offenkundig Saudi-Arabien nicht schützen. Jetzt hat der Krieg im Jemen auch die Rennserie erreicht. Und die Empörung ist groß. Die US-Regierung und das Auswärtige Amt in Berlin verurteilten die jüngsten Attacken der Huthi-Rebellen. „Diese erneuten Angriffe verletzen das humanitäre Völkerrecht und untergraben die regionale Stabilität, indem sie eine weitere Eskalation provozieren. Angriffe auf zivile Ziele sind durch nichts zu rechtfertigen“, teilte die Bundesregierung mit.
Für die Formel 1 stellt sich durch die Geschehnisse indes einmal mehr die Frage nach der Auswahl ihrer Partner. Erst vor wenigen Wochen hatte die Rennserie ihre Verträge für Rennen in Russland wegen des Krieges in der Ukraine gekündigt. Andere Grand-Prix-Gastgeber wie Bahrain, Aserbaidschan, China oder Katar stehen wegen ihrer Verstöße gegen Menschenrechte ebenfalls seit Jahren in der Kritik. Gleiches gilt für SaudiArabien. Trotz aller von oben verordneten gesellschaftlichen Reformen, wird die Monarchie mit harter Hand vom Königshaus regiert. Gegen jede Form von Opposition wird rigoros vorgegangen. Immer wieder berichten Menschenrechtsgruppen von Folter und Misshandlungen in Gefängnissen.
Fia und Formel 1 ließen in ihrer Mitteilung erkennen, dass über die Ereignisse von Dschidda noch zu reden sein wird: „Mit allen Beteiligten ist vereinbart, einen klaren und offenen Dialog während des Events und in der Zukunft weiterzuführen.“ (dpa/Ch.B.)