Nagelsmanns Wechsel folgt der Logik des Systems
In einer Komödie von Sönke Wortmann namens „Kleine Haie“ gibt es eine schrullige Figur. „Bierchen“, so sein Kampfname, liebt Kutte und einen schnellen Fahruntersatz. Aber den FC Bayern, den hasst er ganz bestimmt.
„Die Bayern sind der letzte Schrott. Die mach’ ich platt, die Bayernschweine, wo ich sie finde“, lässt er seine Mitfahrer wissen, als sie aus dem Autofenster das Münchner Olympiastadion erblicken. Der Film stammt aus dem Jahr 1992 und damals wie heute werden die Bayern eben geliebt oder wie von Bierchen gehasst.
Das liegt sicher an der Überlegenheit dieses Klubs, der viel Missgunst produziert. Ein bisschen hängt es auch damit zusammen, dass die Bayern nicht besonders kreativ darin sind, ihren sportlichen Vorsprung auszubauen. Die Münchner sind weder durch ein ausgeklügeltes Scouting-System noch durch ein besonders effizientes Nachwuchsfördersystem aufgefallen. Ein über Jahrzehnte bewährtes Mittel der Bayern: Die eigene Liga im Blick behalten, und wenn sich jemand hervortut, dann kaufen.
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Am härtesten getroffen hat es Borussia Mönchengladbach (u.a. del Haye, Matthäus, Effenberg), den Karlsruher SC (Kreuzer, Sternkopf, Scholl, Kahn), Werder Bremen (Herzog, Frings, Borowski, Klose, Basler, Pizarro, Ismael), Bayer Leverkusen (Lucio, Ballack, Ze Roberto) und Borussia Dortmund (Lewandowski, Götze). Überhaupt lässt sich kaum ein Klub finden, der nicht schon einmal Opfer des gefräßigen Fußballriesen aus dem Süden geworden ist.
Nun steht Trainer Julian Nagelsmann vom schärfsten Verfolger RB Leipzig vor einem Wechsel nach München. Verwundern tut dies nicht. Nagelsmann hat bei seiner ersten Station als Profitrainer in Hoffenheim aus eher bescheidenen Mitteln sehr viel herausgeholt, und in Leipzig hat er bewiesen, dass er auch einen Klub mit üppigerem Budget nach vorne bringt.
Nagelsmann ist jung, ehrgeizig, hungrig, erfolgreich und obendrein auch noch ein gebürtiger Bayer. Einen besseren und passenderen Mann können die Münchner nicht bekommen.
Sind das also wieder die Bayernschweine, die Bierchen beklagt, die die Konkurrenz schwächen und damit auch die Eintönigkeit der Liga befördern? Das kann man so sehen, allerdings würde man dann die Realität des Profibetriebs ausblenden.
Hier schnappt das größere Tier dem kleineren die Beute weg. Die Bayern den Leipzigern, die Leipziger den Hoffenheimern und die Hoffenheimer dem TSV 1860 München. Das waren Nagelsmanns bisherige Trainerstationen. Es ist die Logik des Systems, und die Bayern machen im Grunde nichts anderes als der Rest.