„David Bowie war ein Fixstern für mich“

Reinhard Kleist, am Schluss Ihres aktuellen Buches, der Comicbiografie „Starman“, steht neben den Danksagungen des Autors auch: „David Bowie saved my life“. Was bedeutet Ihnen der Musiker, der 2016 gestorben ist und jetzt 75 Jahre alt geworden wäre?

Ein Lied von Bowie ist der erste Popsong, an den ich mich bewusst erinnern kann: „Ashes to Ashes“ von 1980. Da war ich zehn Jahre alt und habe mich für Popmusik noch nicht wirklich interessiert. Das lief damals die ganze Zeit im Radio und ich hatte Angst vor dem Lied.

Reinhard Kleist in seinem Atelier in Prenzlauer Berg.Foto: Lars von Törne

Wieso das?

Es ist ein unangenehmes Lied. Ich konnte den Text damals ja nicht verstehen, aber die Musik verbreitet schon ein Gefühl des Unwohlseins. Das habe ich als Kind aufgenommen. Und dann war Bowie immer öfter ein Thema, man hat ihn in den Videosendungen gesehen, mit Songs wie „Modern Love“. Und ich war sofort verknallt in ihn. Ich habe gemerkt: Der ist anders. Ich bin auch anders.

In welcher Hinsicht?

Es war klar: Der Typ ist androgyn. Man wusste irgendwie: Der macht auch was mit Männern. Ich war davon völlig angezogen. Und dann die Augen! Ich habe jedem Auftritt von ihm im Fernsehen entgegengefiebert. Der kleine Reinhard in seinem Dorf Groß-Vernich im Rheinland hat so eine Figur gebraucht.

Ein Bowie-Auftritt in „Starman“.Foto: Carlsen

Wofür?

An dem konnte man sich hochziehen. Der war nicht nur ein Popstar, sondern ein Fixstern für einen, bei dem man wusste: Der versteht einen. Der hat vielleicht etwas ähnliches durchgemacht. Ich wusste schon ziemlich früh, dass ich auf Männer stehe, habe es aber lange Zeit versteckt und auch nie wahrhaben wollen. Innerlich tobte da ein Kampf. Bowie anhimmeln konnte man allerdings auch als heterosexueller Junge. Was ich ihm krumm genommen habe, war „China Girl“. Da hat er mit einer chinesischen Frau am Strand rumgemacht, da war ich echt enttäuscht…

…weil er mit einer Frau rummacht?

Ja, das hat unsere Beziehung nachhaltig überschattet (lacht). Ich habe von da an die ganze Zeit verfolgt, was Bowie macht, habe alle Phasen mitgemacht und mal mehr und mal weniger gemocht. Aber die Faszination für Bowie blieb die ganze Zeit.

Bowie in einem von Kansai Yamamoto entworfenen Anzug.Foto: Reinhard Kleist / Carlsen

Und wie entstand dann die Idee, einen Comic über besonders markante Phasen seines Lebens zu erarbeiten?

Ich hatte nach der Arbeit an meinem Nick-Cave-Buch besonders viel Spaß in der Zeit danach, in der ich viele Musikprojekte hatte. Darunter Live-Zeichen-Auftritte mit Bands, wobei sich auch die Band „The Good Sons“ formiert hat. Da war klar: Ich will das weitermachen. Dann habe ich mit meinem Verlag drauf geeinigt, dass ich erstmal den Comic „Knock-Out“ mache, und danach wieder einen Musiker. Es haben sich da drei herauskristallisiert.

Welche denn?

Neben Bowie war das Iggy Pop. Ich bewundere ihn und er wäre sicher auch eine tolle Comicfigur. Aber er hatte für mich nie so eine Bedeutung wie Bowie. Die andere war Patti Smith, die für mich auch immer wichtig war. Aber sie hat leider mit „Just Kids“ ein viel zu gutes Buch geschrieben, da kann man nichts mehr machen. Und Bowie war der, bei dem ich wusste, das ist zum einen visuell unschlagbar. Zum anderen ist er für mich enorm wichtig, da kann ich auch etwas Persönliches abarbeiten, wie zuvor bei Nick Cave. Und es ist natürlich auch ein zugkräftiges Thema und ich weiß, dass ich damit eine große Aufmerksamkeit erreiche. Also kann ich da ein Projekt machen, das mich auch die nächsten Jahre noch beschäftigen wird. Es besteht ja aus zwei Teilen.

David Bowie mit dem Look, den er für das Konzeptalbum „Aladdin Sane“ schuf.Foto: Reinhard Kleist / Carlsen

Wie kam es dazu?

2022 ist ein wichtiges Bowie-Jahr: 50 Jahre „Ziggy Stardust“, außerdem wäre Bowie in diesem Jahr 75 geworden. Aber ich hätte es nicht geschafft, die ganze Geschichte bis 2022 fertigzubekommen, also haben wir sie in zwei Bücher aufgeteilt. Das macht auch von der Handlung Sinn, denn der zweite Teil behandelt die Berlin-Zeit und die Zeit dazwischen, wo er in den USA durchgedreht ist, von „Station to Station“ bis „Young Americans“. Gleichzeitig ist er völlig auf Kokain abgedreht, die Berlin-Phase war dann schon etwas wie eine Reinigung.

Das Titelbild von „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.Carlsen

Wieweit musste vor der Arbeit eine Genehmigung bei Bowies Management eingeholt werden?

Seine Lebensgeschichte ist frei. Aber es gibt ein paar Regeln, die man beachten muss, sonst kommt man in Teufels Küche. Ich dürfte jetzt nicht einfach rumlügen und irgendwelchen Mist erzählen, den ich nicht belegen kann. Dafür könnte ich dann belangt werden. Viele reale Szenen in meinem Buch basieren auf Beschreibungen in Biografien. Aber da muss man vorsichtig sein: Ich berufe mich vor allem auf fünf Bücher, und in denen stehen zu vielen Situationen ganz andere Dinge. Die große Schwierigkeit, die dann im Laufe der Arbeit auftauchte, war aber, dass wie die Rechte an den Liedtexten nicht bekommen haben. Nur bei zwei Liedern, für die die Rechte bei einer anderen Firma liegen, haben wir sie bekommen. Für die anderen kam ein „Nein“ von Bowies Management. Daher haben wir bei vielen Songs kaum Textzeilen übernommen. Ich habe dann drumherumgeschrieben und nur ein paar Textzeilen als Zitat genommen.

Rock-’n’-Roll-Messias: Bowie in einer Konzertszene in „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.Foto: Carlsen

Das erklärt, wieso anders als bei den Comics über Nick Cave oder auch Johnny Cash die Songs im Bowie-Buch viel weniger als Teil der Geschichte verarbeitet wurden.

Ja. Bei Cave war es ganz einfach. Bei Cash war das eine enorme Recherchearbeit, weil die Musikrechte irgendwo verteilt liegen, aber wir haben alles zusammenbekommen. Bei Bowie hingegen kam bei den meisten Songs ein kategorisches „Nein“. Und wir haben dann mit einem Medienanwalt zusammengearbeitet, um auszuloten, wieweit wir ein paar Zeilen zumindest zitieren können.

Höhenflug: Eine Szene aus „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“.Foto: Carlsen

„Starman“ ist als Erzählung angelegt, in der der Erzähler seine Hauptfigur David Bowie direkt anspricht, wie in einem persönlichen Brief. Wieweit ist das ein persönlicher Text des Autors Reinhard Kleist an sein einstiges Idol?

Das wird im zweiten Teil aufgelöst: Es ist ein anderer Erzähler. Wer das ist, wird später verraten. Aber es ist natürlich eine persönliche Auseinandersetzung. Da stecken ganz viele Themen drin, die für mich eine Rolle spielen. Zum Beispiel die Analogie mit der Rettung der Welt…

…für die Bowies Kunstfigur Ziggy Stardust steht, die in dem Buch eine zentrale Rolle spielt.

Ja, das hatte für mich auch etwas damit zu tun, die persönliche Welt zu retten. Ich kann hier einen Bogen schlagen zu mir als dem kleinen Reinhard in Groß-Vernich im Rheinland. Ich habe diesen Rock-Gott Bowie da auch als Retter für meine kleine Welt gesehen. Und natürlich kann er das nicht leisten, genauso, wie Ziggy nicht die Welt retten kann. Das ist etwas, das der Rockstar dem Publikum vorspielt, aber er kann diese Erwartungen nicht erfüllen, die man in ihn setzt. Das fand ich irre, dass Bowie diese Vision schon gehabt hat, als er das Album „Ziggy Stardust“ schrieb – und von vornherein schon sagte, der Rock-Messias geht an den Verlockungen des Ruhms zugrunde, an Drogen, Alkohol und den eigenen Abgründen. Und verlässt dann seine Mission, die scheitert.

Als Bowie noch David Robert Jones hieß: Eine Jugendszene aus „Starman“.Foto: Carlsen

Im Vergleich zu anderen Bowie-Büchern und Comics wie Michael Alreds gezeichneter Biografie „Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“, steht bei „Starman“ ein Narrativ im Zentrum, das die von Bowie geschaffenen Kunstwelten mit seinen Erlebnissen in der realen Welt verknüpft. Wie entstand dieser rote Faden?

Es ist vieles davon in der Zusammenarbeit mit meinem Redakteur Michael Groenewald entstanden. Ich fand es total spannend, wie Bowie – und hier gibt es eine Verbindung zu dem Nick-Cave-Buch – seine eigene Welt schafft, seinen eigenen Figuren, und dann so etwas wie ein Gott wird. In seinem eigenen Universum hat er die Macht, mit den Figuren alles zu machen, was er möchte. Er kann sie umbringen, glücklich werden lassen, was auch immer. Das findet sich bei Bowie noch perfider wieder, weil er ja quasi eine zweite Version seines selbst geschaffen hat. Diese Figur hat dann wieder einen direkten Einfluss auf sein persönliches Leben, weil seine Umwelt auf diese erfundene Figur so reagiert, dass sie die andere Person gar nicht mehr wahrnimmt. Bowie hat ja auch in Interviews von Ziggy Stardust als von einer lebenden Figur gesprochen. Daher treten dann bei mir diese beiden Figuren am Schluss in Kontakt und Bowie merkt: Verdammt, diese Figur übernimmt mein Leben. Ich verschwinde hinter Ziggy. Ich muss den loswerden, irgendwie umbringen. Das hat er ja dann auch gemacht mit einem Konzert, das ein Paukenschlag war. Da hat er verkündet, das war jetzt das letzte Konzert, hat die Band aufgelöst, und die Musiker wussten gar nichts davon.

Five Years: So haben Kleist und Kolorist Thomas Gilke den Bowie-Song visualisiert.

Zeichnerisch unterscheidet sich „Starman“ deutlich von Ihren früheren oft in Schwarz-Weiß gestalteten Werken, vor allem durch die Farben, in diesem Fall eine große Rolle spielen. Wieweit hat die Entscheidung, den Comic farbig zu machen, die Arbeitsweise daran geprägt?

Mir war von Anfang an klar, ich kann das mit den Farben nicht alleine leisten. Mein Farbgefühl ist eher zurückhaltend. Aber wir brauchten jemand, der den Geist der 60er und 70er Jahre trifft. Thomas Gilke und ich haben uns daher die Arbeit geteilt. Ich habe eher die Rückblenden gemacht, die mit gedeckten Farben koloriert sind, dazu Szenen aus „Space Oddity“, die auch eher klassisch koloriert sind. Bei den anderen Szenen hat Thomas in die Vollen gegriffen. Ich habe mich bei den Zeichnungen generell mehr zurückgenommen und sie so angelegt, dass viel Platz für Farbe bleibt. Als ich die ersten farbigen Seiten sah, musste ich erstmal schlucken. Aber dann fand ich es toll, denn es atmet wirklich den Geist der Zeit. Bowie in dieser Zeit musste einfach knallen – das hätte ich alleine so nicht hinbekommen.

[Sechs Jahre nach dem Tod David Bowies ist jetzt zu seinem 75. Geburtstag das Album „Toy“ veröffentlicht worden. Hier gibt es die Tagesspiegel-Rezension dazu.]

Auch der Pinselstrich ist beim neuen Buch weniger kantig als zum Beispiel bei dem Nick-Cave-Comic…

Ich bin für „Starman“ weggegangen vom rauen Stil des Nick-Cave-Albums. Ich habe wieder mit funktionierenden Pinseln gearbeitet.

Das war bei Nick Cave anders?

Ja, für das Buch hatte ich meine Pinsel extra kaputt gemacht, damit das kantiger, zackiger aussieht. Für Bowie habe ich wieder mit neuen Pinseln gearbeitet.