Die italienische Nationalmannschaft erlebt eine Renaissance
Weit nach dem Abpfiff, als in irgendeiner Ecke der Münchner Arena immer noch irgendein Spieler in Weiß von den Fans in Blau gefeiert wurde, stand ein Mann in blauem Trikot auf derTribüne direkt hinter der Trainerbank. Er nickte hierhin, lächelte dorthin. „Guck mal, der Matze Knop“, sagte ein Zuschauer. „Ja, der sieht dem ein bisschen ähnlich“, entgegnete sein Begleiter. „Nee, das ist der.“
Das war natürlich ein bisschen witzig, dass ausgerechnet an der Echtheit von Matze Knop Zweifel aufkamen. An jemandem, der ein funktionierendes Geschäftsmodell daraus gemacht hat, prominente Menschen mehr oder weniger naturgetreu nachzuäffen und zu veralbern. Mit der Squadra Azzurra, deren Trikot Knop am Freitagabend in München trug, verhielt es sich ähnlich.
Viele sind sich nicht ganz sicher, ob das wirklich die italienische Nationalmannschaft ist, die bei der Fußball-Europameisterschaft die Sterne vom Himmel spielt und den Zynismus früherer Tage durch eine ungewöhnliche Lust am Spektakel ersetzt hat. „Sie lieben, was sie tun“, sagte Belgiens Nationaltrainer Roberto Martinez, nachdem er mit seiner Mannschaft durch ein 1:2 im EM-Viertelfinale an den Italienern gescheitert war.
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Es gibt – abgesehen vielleicht von den ewigen Schönspielern aus Brasilien – wohl keine Nationalmannschaft, deren Bild derart klischeebehaftet ist wie das der Italiener. Vor allem in Deutschland ist das so. Das Land, das zwei seiner vier WM-Titel unter anderem erschummelten Elfmetern verdankt, erregt sich immer wieder gerne über die expressionistische Schauspielkunst der Italiener.
Die alten Reflexe funktionieren noch
Auch nach dem Viertelfinale in München war das wieder so – und Auslöser eine Szene unmittelbar vor dem 1:0 durch Nicolo Barella.Ciro Immobile, Italiens Stürmer, war im Strafraum von einem belgischen Abwehrfuß getroffen worden. Das Spiel lief weiter, obwohl Immobile den sterbenden Schwan mimte, sich über den Rasen wälzte, als stünde sein Ende kurz bevor.
Doch kaum lag der Ball im Tor der Belgier, erhob sich der frühere Dortmunder wie Lazarus und schloss sich seinen jubelnden Kollegen an. Ja, die alten Reflexe funktionieren auch noch. Italiens Abwehr mit den beiden Recken GiorgioChiellini und Leonardo Bonucci steht fest wie eh und je. Darüber hinaus aber hat das Team von Trainer Roberto Mancini so viel Lust an der Offensive, dass selbst die schwülstigen Elogen der italienischen Presse nicht einmal übertrieben klingen.
„Italien, du bist großartig, großartig, großartig“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“ nach dem Einzug ins EM-Halbfinale. „Wie schön es ist, Italiener zu sein“, schwärmte „Tuttosport“, und der „Corriere dello Sport“ verkündete: „Der Titel ist keine Fata Morgana mehr.“ Italien feiert die Wiederauferstehung einer Mannschaft, die vor drei Jahren zerfleddert am Boden lag. Natürlich ist diese Renaissance vor allem mit Roberto Mancini verbunden, der das Team 2018 nach der verpassten WM-Qualifikation übernommen hat.
Spinazzola wird gegen Spanien fehlen
Inzwischen sind die Italiener seit 32 Spielen ungeschlagen. „Der Trainer verdient Respekt“, sagte Lorenzo Insigne. „Er hat uns erschaffen.“ Im EM-Halbfinale kommt es nun zur Revanche des Endspiels von 2012. Damals unterlagen die Italiener den Spaniern in Kiew mit 0:4 und waren ohne jede Chance. Und das nicht erst, als sie wegen der Verletzung von Thiago Motta in der letzten halben Stunde in Unterzahl spielen mussten.
Am Dienstag in London wird Linksverteidiger Leonardo Spinazzola fehlen, der vielleicht beste Spieler Italiens bei der EM. Er erlitt einen Riss an der linken Achillessehne – so die erste Diagnose. Das ist ein arger Verlust für Mancini, und trotzdem geht sein Team nach den bisherigen Eindrücken des Turniers als Favorit in die Auseinandersetzung mit den Spaniern.
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„Ich habe noch nie mit so einem Lächeln im Gesicht gespielt“, sagte Insigne über die Nationalmannschaft unter Trainer Mancini. „Er erlaubt uns, dass wir unseren besten Fußball spielen. Das ist unser Geheimnis.“ Kurz vor der Pause hatte der kleine Linksaußen aus Neapelmit einem Schlenzer in den rechten Torwinkel das zwischenzeitliche 2:0 für sein Team erzielt.
„Ich versuche diesen Schuss ziemlich häufig“, berichtete er. So häufig, dass ihm sein Trainer schon geraten hat, er solle es doch mal mit der anderen Ecke versuchen. Aber auch wenn den Italienern im Moment ziemlich viel gelingt. Alles gelingt ihnen eben auch nicht. Lorenzo Insigne sagte über Mancinis Ratschlag: „Das kann ich nicht so richtig.“