Dardai muss gehen, Korkut kommt – „es ist der richtige Zeitpunkt“
Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Der Satz wird immer wieder gerne bemüht, wenn es nach einer quälend langen Inkubationszeit endlich so weit ist und ein Trainer seinen Job verliert. Selten war dieser Satz so treffend wie in diesen Tagen bei Hertha BSC.
Am Sonntagvormittag noch hat sich Pal Dardai halbwegs gut gelaunt in anderthalb freie Tage verabschiedet. Er hatte klare Vorstellungen, was er zu Beginn der neuen Woche mit seinen Spielern zu analysieren haben würde; doch nicht mal 24 Stunden später wurde Dardai von seinem Vorgesetzten Fredi Bobic zum Gespräch gebeten. Es war laut Bobic ein kollegiales, offenes, gutes, aber auch recht kurzes Gespräch. Danach war Pal Dardai, 45, seinen Job als Cheftrainer von Herthas Profi-Mannschaft los.
„Es ist der richtige Zeitpunkt“, sagte Sportgeschäftsführer Bobic, dem es – anders als der deutschen Politik in der Corona-Pandemie – gelungen ist, vor die Welle zu kommen. Im Umfeld des Vereins und bei den Fans wurde zwar bereits vernehmlich gegrummelt, weil es mit der Mannschaft unter Dardai nicht signifikant vorangehen wollte. Eine massive Anti-Dardai-Bewegung aber hatte sich bisher noch nicht geformt.
Selbst Teile der Vereinsgremien sind von der Entscheidung offenbar überrascht worden – sowohl von der Freistellung Dardais mit seinen Assistenten Andreas „Zecke“ Neuendorf und Admir Hamzagic als auch von der Wahl des Nachfolgers. Tayfun Korkut, 47, übernimmt die Mannschaft bis zum Saisonende. Sein Co-Trainer wird Ilja Aracic, 50, der früher selbst für Hertha gespielt hat.
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„Ich bin halt jemand, der aus Überzeugung handelt“, sagte Bobic am Nachmittag zu der überraschend raschen Klärung der Personalien. Das späte 1:1 am Samstag gegen Augsburg sei keineswegs der Auslöser für den Trainerwechsel gewesen. Selbst bei einem Sieg hätte Dardai gehen müssen. Demnach wäre der Auftritt der Mannschaft bei der 0:2-Niederlage im Derby eine Woche zuvor so etwas wie der letzte Anstoß gewesen. „Da haben wir viel gesehen, aber vieles, was nicht gut ist“. erklärte Bobic. „Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass viele Dinge sich verbessern.“
Herthas Sportgeschäftsführer wird schon länger nachgesagt, eine namhaftere Lösung für den Trainerposten zu suchen. Dass Dardai nach dem Klassenerhalt im Sommer bleiben durfte, war alles andere als eine strategische Entscheidung, es war eher der normativen Kraft des Faktischen geschuldet. Beim Abschiedsgespräch am Montag bedankte sich Bobic ausdrücklich bei Dardai für dessen Einsatz. Doch im Binnenverhältnis hat es zwischen den beiden früheren Teamkollegen schon länger unüberhörbar geknirscht.
Nach der 0:5-Niederlage bei den Bayern zu Saisonbeginn hatte Dardai geklagt, Hertha suche wahrscheinlich schon lange nach einem großen Trainer. „Pal ist nur ein kleiner, netter Trainer“, der jederzeit auch wieder in die Nachwuchsabteilung zurückkehren könne. Dafür wurde Dardai von Bobic erst intern, dann auch öffentlich gerüffelt. Und zuletzt hatte Herthas Geschäftsführer noch einmal explizit erklärt, dass Dardai nach seinen unglücklichen Äußerungen eigentlich hätte fliegen müssen.
Und so wurden es für Herthas Rekordspieler statt viereinhalb Jahre wie in seiner ersten Amtszeit als Trainer diesmal nur zehn Monate – obwohl er die Mannschaft in der vergangenen Saison unter denkbar komplizierten Bedingungen vor dem Abstieg gerettet hat.
Herthas Tabellensituation ist ziemlich angespannt
Doch anders, als der Ungar insgeheim gehofft hatte, gestaltete sich auch die neue Spielzeit kaum weniger kompliziert. Von einem ruhigen Sommer konnte keine Rede sein. Wichtige Spieler, unter anderem der brasilianische Olympiasieger Matheus Cunha, verließen den Klub, dafür kamen eher kostengünstige Talente und Spieler mit leichten Dellen in ihren Biografien. Nach einem holprigen Saisonstart mit drei Niederlagen zum Auftakt konnte Dardai das Team anschließend zumindest einigermaßen stabilisieren.
Der neue Trainer übernehme „eine Mannschaft, die intakt ist, die nicht in der Krise ist, aber die noch Orientierung sucht, klare Strukturen“, sagte Bobic. Schon vor zehn Jahren hat er mit Korkut beim VfB Stuttgart zusammengearbeitet, seitdem sei der Kontakt nie abgerissen. In Bobics Zeit als Sportchef beim VfB trainierte Korkut die U 19 des Klubs. Einige Jahre später, im Januar 2018, sprang Korkut dann auch bei den Profis als Coach ein. Der damalige Aufsteiger lag auf Platz 14 – genau wie Hertha jetzt – und beendete die Saison als Siebter. Von den 14 Spielen unter Korkut als Trainer verlor die Mannschaft nur eins.
So ähnlich stellen sie sich das jetzt auch bei Hertha vor. „Er ist der Richtige für eine Mannschaft, die neue Impulse braucht“, sagte Bobic. Zudem sei Korkut ein Trainer, der sich dem anpassen könne, was er vorfinde. Mehr Stabilität erhofft sich Herthas Geschäftsführer, weniger Auf und Ab in den Leistungen der Mannschaft als zuletzt. „Da erwarte ich keine Wunderdinge von heute auf morgen“, erklärte Bobic. „Aber die Basis wollen wir jetzt legen“, in den letzten vier Spielen vor der Winterpause.
[Wie unser Kolumnist Frank Lüdecke die Situation beim Berliner Bundesligisten einschätzt: „Hertha mangelt es an Intellekt“]
Hertha ist seit vier Spielen ohne Sieg, und neben fußballerischer Qualität hat ihr zuletzt auch ein wenig das Spielglück gefehlt. In den beiden jüngsten Heimspielen gegen Leverkusen und Augsburg führte Hertha bis kurz vor Schluss jeweils mit 1:0 und kassierte dann beide Male noch den Ausgleich. Der Vorsprung auf den Relegationsplatz ist auf einen Punkt geschrumpft, und nun stehen für die Berliner zwei Spiele – in Stuttgart und gegen Bielefeld – an, die womöglich den Grundton für die nächsten Wochen vorgeben.
„Mir war relativ schnell klar, dass das für mich eine gute Aufgabe ist“, erklärte Korkut bei seiner Vorstellung. „Ich bin voller Energie.“ Seine erste Dienstreise führt ihn am Sonntag in die schwäbische Heimat, in seine Geburtsstadt Stuttgart und zu dem Klub, bei dem er zuletzt gearbeitet hat.
Korkut soll die Saison einigermaßen unfallfrei zu Ende bringen
Beim VfB wurde er nach der erfolgreichen Rettung und einer Vertragsverlängerung bis 2020 in der folgenden Saison bereits nach sieben Spielen mit nur fünf Punkten entlassen. Außerdem war Korkut für Hannover, Kaiserslautern und Bayer Leverkusen tätig. Lediglich in Hannover blieb er länger als ein Jahr im Amt. Auch bei Hertha ist der frühere türkische Nationalspieler nur als Interimstrainer bis zum Saisonende vorgesehen.
In Berlin soll er nun den Job von Pal Dardai zu Ende bringen und die Mannschaft halbwegs unfallfrei in der Liga halten, ehe dann im Sommer ein Trainer kommt, der mit seinem Renommee besser zu Herthas Ambitionen passt. Gerüchteweise hat Bobic den passenden Kandidaten längst im Kopf. Einen Trainer, der aktuell auf deutlich höherem Niveau arbeitet – und sich das Projekt Berlin trotzdem vorstellen kann. Tayfun Korkut muss jetzt dafür sorgen, dass das in der kommenden Saison noch attraktiv ist.