Bilder im Waschgang: Die großartige Sommerschau der Fondation Beyeler
Ob sie das Kassenhaus finden? Gerade weht wieder eine Wolke aus feinen Wassertropfen Richtung Eingang der Fondation Beyeler, die Ankömmlinge in Riehen bei Basel stehen im Nebel. Und die nächste Herausforderung wartet schon: Jeder Besucher der hiesigen Sommerschau muss seinen Eintritt selbst bestimmen. Arbeitslos darf man kostenlos in die Ausstellung, wer viel verdient, kann doppelt zahlen, um jemand anderem den Besuch zu ermöglichen. Die Entscheidung trifft das Gewissen, einen Nachweis will hier niemand sehen.
Manche finden die Schau respektlos
Überhaupt weicht diese Schau von vielem ab, was man sonst aus Museen kennt. „Dance with Daemons“, Tanz mit Dämonen, hieß sie anfangs, doch der Titel gilt nicht mehr und steht bloß noch verblasst an der Wand. Den aktuellen muss man auch nicht kennen, er kann schon morgen wechseln. Genau wie die Bilder an den Wänden: Vor den Augen der Besucher werden Millionen teure Gemälde etwa von Claude Monet durch das Haus transportiert und neu gehängt – vielleicht nur für ein paar Tage. Das Drehbuch der Kuratoren, Museumsdirektor Sam Keller, Super-Kurator Hans Ulrich Obrist und Künstler wie Tino Sehgal oder Philippe Parreno, gleicht einer Wundertüte voll untypischer Handlungsanweisungen.
Nicht allen gefällt das. Im Museum berichten sie von Reaktionen auf einige vermeintlich respektlose Arrangements: Werke von Warhol, Van Gogh und Monets legendäre Seerosenbilder kleben nahezu aneinander, werden ohne Abstand wie auf einer Kette gereiht, führen motivisch durch grüne Gärten ans Meer und über den Horizont direkt ins All, das eine Mond-Fotografie von Wolfgang Tillmans versinnbildlicht.
Das geht natürlich gegen Sehgewohnheiten und eingeübte Rituale der Kunstrezeption. Endlich, könnte man jedoch auch sagen, stellt eine Institution diese Muster auf die Probe, hinterfragt das Statische von Gewohnheiten und bietet dem Publikum eine Alternative an.
Skulpturen belauschen das Publikum
Zum Beispiel den Wasserdampf der über 90-jährigen japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya, der im Park der Fondation flüchtige, wabernde Skulpturen formt. Ein Gewächshaus von Precious Okoyomon voller giftiger Schönheiten oder Parrenos kolossaler Turm „Membrane“ (2023), dessen schwarze Tentakeln sich in den Rasen graben und der über sensomotorische Fähigkeiten wie über generative Sprachverarbeitung verfügt. Vielleicht sind die Dialoge des Publikums morgen schon Teil der akustischen Performance von „Membrane“. Den Frosch im Teich hat es jedenfalls schon erwischt, sein Quaken ertönt in unvorhersehbaren Abständen aus Parrenos Lautsprechern.
Belauscht wird man auch im Museum. Zwei blank polierte, abstrakte Objekte von Pierre Huyghe liegen wie vergessene Masken auf Sitzbänken. „Idiom“ (2024) erinnert nicht zufällig an die zeitlosen Bronzeköpfe von Constantin Brâncuși. Doch im Gegensatz zu den kubistischen Meisterwerken stecken Hyghes Plastiken voller Technik und zeichnen die Geräusche in ihrer Umgebung mitunter auf.
Auch sie werden innerhalb der Fondation Beyeler ständig neu platziert. Sollten sie im hinteren Ausstellungssaal landen, würden sie Zeugen einer täglichen Sound-Performance von Tino Sehgal. Im Raum von Adrián Villar Rojas hingegen wäre der durchgehende Ton der einer Waschmaschine im Vollwaschmodus. Der argentinische Bildhauer, Teilnehmer der 13. Documenta von 2012, schlägt reichlich Schaum mit seiner Skulptur „The End of Imagination VI“ – vor allem mit dem alienhaften, meterhohen Wesen, das die Maschine fest umklammert und auf ihr sitzt wie ein Gestalt gewordener Albtraum, der das Gewohnte aus den Fugen hebt.
In anderen Museen wäre das unmöglich
Auch ein Museumsbesuch bricht mit dem Alltag, doch dies hier sprengt alle Abläufe, und man erahnt auch als Außenstehende den logistischen wie finanziellen Aufwand des Projekts. Die Luma-Stiftung hat es unterstützt, und geholfen hat sicherlich auch der private Ursprung der Fondation, die vom Galeristen Ernst Beyeler gegründet und 1997 eröffnet wurde. Die Sammlung des Hauses basiert auf seiner Tätigkeit als internationaler Kunsthändler, der Werke von Picasso, Francis Bacon, Alberto Giacometti und eben Monet erwarb, um sie größtenteils wieder zu veräußern. Als hoch geschätzte Ware also. Dieser Aspekt spielt sehr wohl mit im aktuellen spektakulären Konzept, das in staatlichen Museen nicht möglich wäre.
Undenkbar allein die Umhängung von Bildern im laufenden Ausstellungsbetrieb. Undenkbar ebenso das Arrangement von Skulpturen, wie es im lichten Hauptsaal geschieht. Hier treffen monumentale Köpfe von Picasso und Giacometti zum Dialog aufeinander, Plastisches von Max Ernst und Hans Arp beäugt sich gegenseitig, das Publikum wird nicht länger direkt adressiert, sondern Zeuge diverser Begegnungen.
Spannendste Schau des Sommers
Kunst spricht mit Kunst. Man kann zuhören oder sich auf die Terrasse hinter dem Haus setzen, um dem Engel von Dominique Gonzalez-Foerster bei der Ankunft im Garten der Fondation zuzuschauen. „Untitled (nuage)“ heißt die Arbeit, ihre Projektionsfläche lässt die illusionäre Erscheinung verblüffend echt wirken. Man kann auch bei „Dream Hotel Room 1“ von Carsten Höller und Schlafforscher Adam Haar ein diskretes napping in Anspruch nehmen. Das „Dream Bed“ rotiert hinter dem Vorhang ebenso wie ein roter Pilz. Sensoren in der Matratze stellen fest, ob man schläft, sogar Träume können registriert werden – eine Hommage auch an den Surrealismus, dessen Protagonisten in den 1920er Jahren ihre eigenen Träume noch mühsam per Hand protokollierten. Bloß darf einen der Schlaf nicht von einer der sicher spannendsten Ausstellungen dieses Sommers abhalten.