Ave Maria!
„MUTTER!“ lautet der Titel der Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle, mehr geht nicht als Versalien und Ausrufezeichen, um mit einem Titel zu knallen. Es ist ein Gang durch die Kunsthistorie zur Rolle der Mutter. Der schreiende Titel verweist sogleich auf die Ambivalenz weiblicher Zuschreibungen. Und er lässt kaum erwarten, dass ausschließlich Verbildlichungen des festgeschriebenen Frauenschicksals als Gebärende und Erziehende gezeigt werden.
Ähnlich geht es bei „Mindbombs“, einer parallel im Haus laufenden Ausstellung, nicht nur um die bloße Darstellung von Gewalt und Terrorismus, sondern auch um deren kulturelle Verarbeitung. Unterwegs eröffnet sich die eine oder andere Querverbindung zwischen beiden Präsentationen, wenngleich deren fast gleichzeitige Laufzeit allein Verschiebungen durch die Pandemie geschuldet sind.
Die gebärende, liebende Mutter taucht auf als prähistorische Fruchtbarkeitsgöttin. Es gibt ein ganzes Tableau religiöser Mariendarstellungen sowie plastischer Repräsentationen bis in die Moderne hinein. Egon Schieles „Tote Mutter“ von 1910 mit ihren halb geöffneten, fast lauernden Augen assoziiert allerdings weder die fürsorgliche Mutter noch den ewigen Frieden. In der vom Louisiana Museum im dänischen Humlebæk gemeinsam mit Johan Holten, dem Leiter der Kunsthalle Mannheim, produzierten Ausstellung wird die Mutter-Kind-Rolle immer wieder dekonstruiert.
Die fast schon unheiligen Mutter-Auftritte nehmen zu, je aktueller die Exponate sind. Unter Cindy Shermans „History Portraits“ (1988-1990), in denen die US-Künstlerin Meisterwerke der Kunstgeschichte nachstellt, befindet sich geradezu eine Parodie der klassischen Mariendarstellung. Annegret Soltau verarbeitete ihre eigenen Erfahrungen mit der Fotoserie „Schwanger“ von 1978: eine Collage grob zusammengenähter nackter Frauenkörper. Laure Prouvousts oktopusartige, begehbare Installation „Mootherr“ (2021) verkörpert ein gruseliges überdimensionales Muttertier.
Sechs Stationen durchläuft der Besucher – vorbei an den mit „The Mother’s voice“ überschriebenen Werken zur Mutter-Kind-Beziehung. Das Bild der leiblichen Mutter wird in Frage gestellt nicht zuletzt durch die immer noch ungewohnte Elternschaft von Queeren und Transsexuellen. Da mag Ragnar Kjartanssons Video „Me and My Mother“ (2015), in dem sich der isländische Künstler von seiner Mutter bespucken lässt und dies stoisch erträgt, fast geeigneter als Exponat für die Parallelschau „Mindbombs“ erscheinen, in der unter anderem die Quellen von Terrorismus und Gewalt sondiert werden.
Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und politischer Gewalt
„Mindbombs“ – so lautet auch das Schlagwort für Kulturtechniken der visuellen Propaganda sowie der Kunst – erinnert an das Attentat vom 11. September vor 21 Jahren sowie die NSU-Prozesse. Die Ausstellung zeigt hier kritisch die gefährlichen Zusammenhänge zwischen Terrorismus und populistischen Medien auf. Insgesamt 37 Künstler*innen und Kollektive fügen darin einen Atlas zusammen und breiten das ganze Spektrum politischer Ikonografie des zeitgenössischen Terrors aus.
[Kunsthalle Mannheim, „MUTTER!“ bis 6.2.; „Mindbombs“ bis 24.2..]
Den Auftakt bildet Édouard Manets Gemälde „Erschießung des Kaiser Maximilians” (1868/69). Anhand dieses Meisterwerks aus der Mannheimer Sammlung lassen sich auch Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und politischer Gewalt erkennen. Die reißerische Aufbereitung des RAF-Terrorismus durch die „Bild“-Zeitung thematisiert ein Gemälde von Wolf Pehlke, auch Klaus Staeck arbeitet damit in seinen Plakaten. 2015 reagiert Olaf Metzel mit einer Wandarbeit auf die tödlichen Anschläge auf die Büros des Pariser Satiremagazins „Charly Hebdo“. Die mit Bild- und Textmaterial gefüllte Regalinstallation „Die Kultur der Angst. Eine Erfindung des Bösen“ (2013) des Franzosen Kader Attia lässt sich wie ein Archiv zum antisemitischen Rassismus lesen.
Eine ausgesprochen komplexe Ausstellung
Andere Künstler gehen ganz konkret auf das Phänomen des Terrors ein wie die Iranerin Moreshin Allahyari mit ihrer 3-D-Rekonstruktion von Stätten des Weltkulturerbes, die durch den sogenannten Islamischen Staat zerstörten wurden. Die britische Gruppe Forensic Architecture führt eine ihrer Terror-Ermittlungsstrategien vor – am Beispiel der Ermordung von Halid Yozgat (2017), dem letzten Opfer der NSU-Attentate. Paula Markert widmet ihnen unter dem Titel „Eine Reise durch Deutschland / Die Mordserie der NSU“ (2014-2017) eine ganze Fototapete. Henrike Naumann beschäftigt sich in ihrer Installation mit dem Sturm auf das Kapitol im vergangenen Jahr zum Ende der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump. Darin fügt die aus Zwickau stammende Künstlerin unter anderem DDR-Mobiliar mit eigenen Objekten sowie Dokumenten zum Terror des hierzulande wieder aufflammenden Rechtsradikalismus zusammen.
Kurator der ausgesprochen komplexen Ausstellung ist Sebastian Bader, der ab Sommer 2022 die Leitung der Schirn Kunsthalle in Frankfurt übernehmen wird, da sich Direktor Philipp Demandt künftig nur noch auf Städel und Liebighaus konzentrieren will. Zwei Jahre erarbeitete Bader mit seinem Team „Mindbombs“, teilweise auf der Grundlage seiner 2017 publizierten Doktorarbeit „Das Image des Terrorismus im Kunstsystem“. Dreizehn Studierende und Absolventen der Karlsruher Hochschule für Gestaltung durften künstlerisch intervenieren.