András Schiff spielt Bachs Klavierpartiten: Eine musikalische Alpenüberquerung

Humor in der Musik: Gibt es das, und wie soll das klingen? Und dann noch bei – Johann Sebastian Bach? Die 2. Klavierpartita c-Moll endet als einzige der sechs nicht auf einer Gigue, sondern auf ein Capriccio, in dem eine einzelne Phrase nach blühender Polyphonie plötzlich in ein Unisono-Ende ausläuft, was laut damals herrschender Barocklehre eigentlich nicht zulässig ist. András Schiff demonstriert die kleine Passage genüsslich am Steinway und erklärt: „Das ist für mich Humor bei Bach“.

Wer in ein Schiff-Konzert geht, bekommt in der Regel nicht nur Musik, sondern immer auch Erklärungen zu dem gleich Gehörten – in diesem einzigartig-verschliffenen, sympathisch raunenden, professoralen ungarischen Professoren-Duktus, der Schiff eine große, treue Fangemeinde beschert hat. Im Pierre Boulez Saal herrscht Platznot, zusätzliche Stühle sind zweireihig im Parkett aufgebaut.

Das Publikum sucht den Zyklus, das Übergreifende

Wer die Befürchtung hegt, dass sich die meisten Menschen aufgrund permanenter Internet-Konditionierung nur noch für Sekundenbruchteile auf eine Sache konzentrieren können, findet hier Trost: Die Menge, darunter auch sehr viele jugendliche Zuhörer, sucht weiterhin die Herausforderung, das große Erlebnis, den Zyklus, das Übergreifende – und Schiff serviert: sieben Konzerte rund um den Jahreswechsel ausschließlich mit dem Klavierwerk von Bach, den Goldberg-Variationen, den französischen und englischen Suiten, den beiden Bänden des Wohltemperierten Klaviers, der Kunst der Fuge: eine musikalische Alpenüberquerung.

Die an diesem Donnerstag mit den sechs Klavierpartiten BWV 825-830 begonnen hat. Eine Partita, auch Suite genannt, besteht, wie der Name schon sagt, aus Teilen, meist Tanzsätzen. Schiff ist kein Dionysiker, sein Spiel von apollinischer, kristalliner Klarheit, die paradoxerweise doch wieder zu einer gewissen süchtig machenden Magie führt. Immer ganz nachvollziehbar sind bei ihm die Stimmen geschieden, klingende Kontrapunktik, wundervolle dynamische Abschattierungen, nie ein vordergründiger Effekt, kein schnell verpuffender Oberflächenglanz. Dafür ein heiliger Ernst, der nie anstrengend wird. Immer vermittelt Schiff das Gefühl, diese Musik sei bei ihm bestens aufgehoben.

Die vierte ist seine erklärte Lieblingspartita: gesetzt in der strahlenden Trompeter-Tonart D-Dur (er spielt die Dur-Partiten auf einem eigens für ihn gebauten Bösendorfer), lichterfüllt, heiter, mit einem fugatoartigem Allegro, der „schönsten Allemande, die je geschrieben wurde“, und einer Gigue, die „zu den Meisterwerken an Kontrapunkt“ gehört. Das Subjektive, Persönliche an Schiffs Konzerten stört überhaupt nicht, im Gegenteil: Es ist gerade das, was man sucht. Man vertraut sich ihm gerne an, er nimmt die Werke auf eine, nun ja, „osteuropäische“ Weise ernst, die von einer Grundströmung an leisem Humor durchzogen ist.

Die schlafwandelartige Souveränität, mit der er diese drei Stunden über die Bühne eines extrem gut gefüllten Boulez Saals bringt und mit einem Fingerschnippen Konzentration herstellt und alle Aufmerksamkeit sofort auf die Musik lenkt, ist relativ einzigartig unter den Pianisten. Und dürfte auch in den sechs Folgekonzerten für ein volles Haus sorgen.