Alle spielen, jeder kann es
Wo sich heute das zum Theater Hau 2 gehörende Restaurant Wau am Halleschen Ufer befindet, gab es einst einen mythischen Ort, der für die Subkultur West-Berlins und weit darüber hinaus prägend war: das Zodiak Free Arts Lab. Es existierte nur von Ende 1967 bis Anfang 1969, Bild- und Tonaufnahmen aus dieser Zeit sind kaum vorhanden.
Und dennoch gilt das Zodiak als Ort, aus dem heraus sich ab dem Ende der Sechziger eine bestimmte West-Berliner Tradition der experimentellen Musik und Performance-Kunst entwickelte. Und das wichtige Anstöße gab für ein diffuses Genre, das in den Siebzigern erblühte und heute in aller Welt verehrt wird: Krautrock. Durchs Netz geistern Clips von jungen Verehrern dieser Musik, die ihre Kamera auf die unspektakuläre Fassade des Wau richten und mit zitternder Stimme berichten: Hier hat alles begonnen.
Zodiak-Veteran Sven-Ake Johannson spielt mit Produzent Jan Jelinek
Historisch haltbar ist des Zodiak nicht. Schließlich hat sich das, was heute unter dem Begriff Krautrock subsumiert wird, eher dezentral entwickelt. Der große Krautrockproduzent Conny Plank war in seinem Studio auf dem Lande in der Nähe von Köln tätig, in Wolperath. Und Kraftwerk tüftelten in Düsseldorf an ihrem Sound herum. Doch immerhin lässt sich sagen, dass das Zodiak als Veranstaltungsort die bundesweiten Kunst- und Musikaktivitäten aller möglicher Freaks der Achtundsechziger-Generation und deren Ruf nach gesellschaftlicher Erneuerung für einen kurzen Moment bündelte.
Fast eine Woche lang will nun das Hebbel am Ufer mit der Veranstaltungsreihe „Bildet Nischen!“, die den Slogan „Bildet Banden!“ paraphrasiert, einen Teil der eigenen Geschichte untersuchen. Wegen Sanierungsarbeiten wird diese nicht genau dort statt finden, wo sich damals alles ereignete, sondern im Hau 1. Doch die Kuratoren teilen mit, dass diese Verlegenheitslösung immerhin den Vorteil habe, einer gewissen „Musealisierung“ entgegenarbeiten zu können.
Trotzdem soll natürlich noch einmal geschaut werden, was genau damals wirklich los war im Zodiak und welche Akteure und Akteurinnen hier prägend waren. Gleichzeitig will man auch Linien ins Jetzt herausarbeiten. Günter Schickert, Krautrockgitarrist, der schon im Zodiak auftrat, wird mit dem Projekt Angel kooperieren, in dem der Elektroniker Dirk Dresselhaus alias Schneider TM involviert ist.
Eine ähnliche generationenübergreifende Verbindung werden Free-Jazz-Drummer und Zodiak-Veteran Sven-Ake Johannson und der Produzent Jan Jelinek eingehen, der in seiner Musik immer mal wieder belegt, wie stark er vom kosmischen Sound der Krautrock-Ära geprägt wurde. Dazu gibt es Gesprächs- und Diskussionsrunden, sowie Installationen.
Eine davon kommt von Wolfgang Seidel, der 18 Jahre alt war, als er das Zodiak für sich entdeckte, wie er im Gespräch erzählt. Er ging damals sein letztes Jahr zur Schule, lebte in Kreuzberg und konnte den Laden, der zur damaligen Schaubühne am Halleschen Ufer gehörte zu Fuß erreichen. Er erlebte hier neuartige Musik zwischen Fluxus-Happening, Free-Jazz, Rock und Elektronik. Seidel, der später kurz bei Ton, Steine, Scherben trommelte, freundete sich bald mit Conrad Schnitzler, dem Spiritus Rector des Zodiak. Mit diesem arbeitete er dann bis zu dessen Tod vor zehn Jahren immer wieder zusammen.
[Bildet Nischen! – Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab. 21.-26.9. , Hau 1]
Schnitzler war eine Person, die den radikalen Anspruch des Zodiak, der Avantgarde keinen Hauch von Kompromiss zu gönnen, perfekt verkörperte. Er war eigentlich ausgebildeter Maschinenbauer, studierte bei Joseph Beuys in Düsseldorf und gründete bald ein Musikprojekt nach dem anderen, um immer dann wieder auszusteigen, bevor sich so etwas wie Erfolg einstellte. Er war Teil von Kluster, einer der kultigsten Krautrockformationen überhaupt, die ohne ihn als Cluster mit weit gefälligerer Musik weitermachten. Und er gehörte zur ersten Inkarnation von Tangerine Dream, die ebenfalls ohne ihn weltberühmt wurden.
Seidel sagt, er habe im Nachlass seines Freundes eine CD gefunden, auf der er „seine musikalische Philosophie erklärt.“ Es seien Sätze zu vernehmen wie dieser: „Musik ist nicht Sprache, Musik ist nicht Malerei, Musik ist nur Musik.“ Der Manifest-Charakter, der aus solchen Worten spricht, erinnert stark an die Sentenzen, die bereits auf Zodiak-Flyern abgedruckt wurden, wie etwa „Total freie Musik. Jeder spielt. Alle spielen. Jeder kann es. Alle sollen.“
Zu den von ihm entdeckten Worten Conrad Schnitzlers habe er nun Musik aufgenommen. Sie orientiere sich an den Experimenten, die er mit seinem Freund damals im Projekt Eruption verfolgt haben, so Seidel. Und daraus hat eine Acht-Kanal-Installation gebastelt, die nun bei „Bildet Nischen!“ zu erleben ist.
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Seidel macht klar, dass er hofft, die Veranstaltung im Hau 1 werde tatsächlich nicht zu nostalgisch und die damalige Zeit über alle Maßen verklärend geraten. Er selbst hat vor ein paar Jahren ein Buch über Krautrock geschrieben, in dem er gegen Mythen argumentiert, die sich inzwischen um diese Musik ranken.
Diese habe sich beispielsweise gegen angloamerikanischen Kulturimperialismus richten wollen, heißt es oft. Das sei alles Quatsch, führt Seidel in seinem Buch aus. Denn auch die extremsten Krautrocker haben erst einmal die Beatles und Jimi Hendrix gehört, bevor sie ihre oft reichlich verstrahlten Klangschwaden zusamentüftelten, wobei nicht selten LSD im Spiel war.
Er sagt auch, so richtig spannend sei es im Zodiak nur in der ersten Hälfte von dessen Existenz gewesen. Danach ging es auf Kosten der völlig freien Musik immer rocklastiger zu und auch Schnitzler habe sich dann bald wieder verabschiedet. Zudem „zog das Zodiak zunehmend immer mehr verlorene Gestalten an, der Drogenkonsum nahm zu und es gab Kleinkriege zwischen Dealern.“ Auch das, so Seidel, gehöre mit zur Geschichte des Zodiak.