Alle gegen eine : Ein Stück über Mobbing am Theater Strahl
Unglückliche Liebe, erster Sex. Coming out, coming of age. Identitätstrouble, Genderfragen, Drogenprobleme. Das sind ein paar der Themen aus dem klassischen Kanon des Jugendtheaters. Und, nicht zu vergessen: Mobbing. Ebenfalls ein Dauerbrennermotiv des Heranwachsens, das spätestens mit dem Schuleintritt virulent wird.
Zuletzt fand es sich auf den Spielplänen der Kinder- und Jugendtheater vor allem in der Erscheinungsform Cybermobbing wieder, und klar, die sozialen Netze erleichtern Ausgrenzung und Attacke erheblich. Aber analog hin, digital her – das Wirkprinzip bleibt stets dasselbe. Alle gegen eine:n.
Auch das Stück „Grau ist keine Farbe“ der Autorin Hannah Schopf erzählt von Mobbing. Mit dessen Inszenierung in der Regie von Inda Buschmann bespielt das Theater Strahl jetzt nach zweijähriger Bauphase wieder sein Gebäude am Ostkreuz, zumindest die untere von zwei Bühnen dort ist fertig gestellt.
Allerdings dauern die Arbeiten am Foyertrakt noch an, Berliner Baustellenrealität eben, weswegen die große Eröffnungsgala vorerst verschoben und die Spielzeit unter das durchaus selbstironische Motto „Drama am Ostkreuz“ gestellt wurde. Sei’s drum. Die Premiere jedenfalls ist geglückt.
„Grau ist keine Farbe“ spielt am Meer, in den Sommerferien. Der Campingplatz in bester Strandlage gehört den Eltern von Dino, eines Tages wird er die ganze Anlage erben und Millionär sein, aber er benimmt sich jetzt schon wie der König dieses Reichs mit einem Strandkiosk als Schloss. Sein Kumpel Nixon jobbt dort schon im dritten Jahr, er kommt aus Verhältnissen, die mit den Schlagworten „Beton“ und „Gewalt“ ausreichend beschrieben sind – und deswegen ist ihm sein Platz in der sozialen Hierarchie auch klar zugewiesen.
Auch Merkur hat einen Ferienjob in der von Urlauber:innen überrannten Eis- und Pizza-Bude angenommen, weil sie auf eine Weltreise spart. Sie ist die Neue in diesem Bunde, zu dem auch Salvia zählt, die Stammgästin auf dem Campingplatz ist und mit Dino anbandelt, obwohl sie zuhause einen Freund hat. Ein Quartett mit ungeklärtem Beziehungsstatus.
Auf hölzernen Schrägen mit metallenen Wellenbrechern ( Ausstattung: Stephanie Dorn) entfaltet sich subtil die toxische Dynamik von unerfüllten Sehnsüchten, uneingestandenem Neid und dem Wunsch, sich über andere zu erheben. Es gibt nicht den einen Anlass dafür, dass Merkur unversehens ausgegrenzt wird.
Bei der „Taufe“ – einem Initiations-Ritual, das Dino erfunden hat – ersäuft sie fast im Meer. Ab da beginnen die Dinge aus dem Ruder zu laufen. Aber die Missverhältnisse waren schon vorher angelegt, wie Puzzleteile, die sich allmählich zu einem Bild der Feindseligkeit fügen. Etwa das Foto, das Dino gegen Merkurs Willen gemacht hat.
Hannah Schopf hat ein Stück von poetischer Brutalität geschrieben. Immer wieder lässt sie einen Chor der unerbittlichen Augen auftreten, der das Geschehen kommentiert: Christine Smuda als Merkur, der die Kontrolle über das eigene Leben entgleitet, Valentin Schroeteler als in Erwartungszwängen gefangenes rich kid Dino, Lisa Brinckmann als Salvia, die mit ihrem Selbstbild ringt, und Amos Detscher in der Rolle des Nixon, der die Chance sieht, mal nicht der einzige Underdog zu sein. Gründe für Mobbing gibt es viele. Manchmal, das legt das Stück nahe, gibt es eine Chance, aus der Spirale der emotionalen Grausamkeit wieder auszubrechen. Patrick Wildermann
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