Die Nationalmannschaft und ihre Probleme mit dem Virus
Prominente Gäste werden in Tirol traditionell durch den Auftritt einer Musikkapelle begrüßt, aber auf dieses Schauspiel hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Freitag in Seefeld aus bekannten Gründen verzichten müssen. „Wir kommen aus einer besonderen Zeit“, sagte Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie. „Und wir sind noch in einer besonderen Zeit.“
Werner Frießer, der Bürgermeister der Gemeinde Seefeld, hatte zur Begrüßung statt Blasmusik zumindest eine gute Nachricht für Bierhoff und die Nationalmannschaft. Nach einem Erlass des österreichischen Gesundheitsministeriums zu Paragraf acht Absatz vier der Rechtsvorschrift der Covid-19-Einreiseverordnung müssen die Nationalspieler, die aus Großbritannien kommen, nicht in häusliche Quarantäne.
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Dass Antonio Rüdiger, Timo Werner, Kai Havertz und Ilkay Gündogan, die an diesem Samstag mit ihren Klubs FC Chelsea und Manchester City im Finale der Champions League stehen, von dieser Pflicht explizit ausgenommen sind, liegt laut Bürgermeister Frießer „im absoluten Interesse der Regierung Österreichs“.
Das Paradoxe ist: Für Deutschland liegt eine Ausnahme von der Regel noch nicht vor. Heißt nach aktuellem Stand: Im Trainingslager in Seefeld dürften Rüdiger, Werner, Havertz und Gündogan mit der Nationalmannschaft trainieren; nach der Rückkehr nach Deutschland am kommenden Wochenende müssten sie dann allerdings in Quarantäne – weil Großbritannien wegen der stärkeren Verbreitung der sogenannten indischen Variante zum Virusmutantengebiet erklärt worden ist.
„Wir verstehen natürlich die Verordnung, und wir verstehen auch, dass es keine Ausnahme für den Fußball geben kann“, sagte Bierhoff. „Aber das erschwert unser Wirken und wäre ein Riesenproblem.“ Ursprünglich war geplant, dass die Spieler nach dem Finale in Porto erst am 3. Juni zur Nationalmannschaft stoßen. Das hätte nach der derzeitigen Rechtslage allerdings bedeutet, dass sie bis zum 17. Juni in Quarantäne gemusst und nicht hätten trainieren können. Schon am 15. Juni aber steht für die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft mit dem Duell gegen den Weltmeister Frankreich das erste Gruppenspiel in München an. Deshalb werden die vier Champions-League-Finalteilnehmer vermutlich sofort von Porto nach Seefeld anreisen.
Bei Toni Kroos fehlt ein negativer Test
20 der 26 Spieler aus dem deutschen EM-Kader haben am Freitag das Quartier in Tirol bezogen und die Vorbereitung auf das letzte Turnier mit Bundestrainer Joachim Löw aufgenommen. Leon Goretzka, der sich am Ende der Bundesligasaison eine Muskelverletzung im linken Oberschenkel zugezogen hat, trainiert derzeit noch individuell, wird aber Anfang kommender Woche bei der Nationalmannschaft erwartet. Und bei Toni Kroos steht nach seiner Covid-Erkrankung noch ein negativer PCR-Test aus. Sobald der vorliegt, „kann er sich in den Flieger setzen“, sagte Bierhoff. „Das sollte bald so weit sein. Ich gehe davon aus, dass er in zwei, drei Tagen hier ist.“
Laut Mannschaftsarzt Tim Meyer ist Kroos nicht schwer erkrankt gewesen. Trotzdem müsse man nach einer Coronainfektion generell vorsichtig sein und Kroos erst wieder schrittweise ins Training integriert werden. Ein Einsatz beim ersten von zwei Testspielen am Mittwoch (in Innsbruck gegen Dänemark) ist damit ausgeschlossen. Zum Abschluss des zehntägigen Trainingslagers steht dann noch die Partie gegen Lettland (7. Juni in Düsseldorf) an. Tags darauf bezieht das Team sein EM-Quartier in Herzogenaurach.
Das Team bleibt ab jetzt zusammen
Auf die zuletzt übliche Praxis, den Spielern nach der Vorbereitung noch ein paar freie Tage mit ihren Familien zu gewähren, wird diesmal verzichtet. Das Team soll die Bubble nicht mehr verlassen. Die Coronavorkehrungen für den insgesamt 90 Personen umfassenden Tross ähneln denen der vergangenen Länderspiele. „Für die momentane Situation sind sie sehr streng“, sagte Mannschaftsarzt Meyer. Aber: „Je länger wir zusammen sind und dabei keine Coronafälle haben, desto sicherer wird das Ganze. Die Zeit arbeitet in diesem Sinne für uns.“
Trotzdem werden die Bedingungen für die Nationalspieler anders sein als bei Turnieren der Vergangenheit. „Der Lagerkoller ist ein Thema. Und natürlich ist es eine Anstrengung“, sagte Oliver Bierhoff. Und doch erwartet er von seinen Spielern, dass ihr Wunsch, ein erfolgreiches Turnier zu spielen, größer ist als persönliche Empfindlichkeiten. „Das muss ein Teil der Mentalität sein, das Ganze trotz dieser Widrigkeiten positiv anzugehen und sich nicht aufhalten zu lassen“, sagte er.
Auch deshalb hat er Mike Horn ins Quartier eingeladen. Er kann den Nationalspielern erzählen, wie echte Eintönigkeit aussieht. Horn hat ab 2002 die gesamte Arktis umrundet, allein und unmotorisiert. Das Projekt hat zwei Jahre und drei Monate gedauert.Bis zum Finale der Fußball-Europameisterschaft am 11. Juli in London sind es sechs Wochen und einen Tag.