Retrospektive Monica Bonvicini: Zum Cocktail mit Mies

Ganz schön kess, ließe sich gönnerhaft sagen, wäre Monica Bonvicinis Intervention an der Eingangsfassade des Mies van der Rohe-Bau keine tonnenschwere, sich spiegelnde Fläche, die auch noch die gläserne Halle überragt. „I do you“ steht in großen schwarzen Lettern darauf geschrieben, damit es noch einmal deutlich wird: Die Bildhauerin „macht“ den Ort, Berlins bedeutendsten Bau der Moderne, sie will ihn, wie der Titel ihrer Außenarbeit ebenso zu übersetzen wäre.

Ganz schön selbstbewusst, darf sich Bonvicini vermutlich als weiteren Kommentar anhören. Auf die Nachfrage von Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach, ob die Spiegelfläche vor dem Entree wirklich 14,64 mal 14,64 Meter messen müsse, antwortete sie: „Richard Serra hättest du nicht gefragt, warum seine Skulpturen so groß sind.“ Manches hat sich eben immer noch nicht geändert.

Vor gut dreißig Jahren ist die gebürtige Italienerin angetreten, Museumsarchitektur zu knacken, die Moderne zu hinterfragen, diese männlich dominierten Domänen aufzumischen. Ihre Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie ist sowohl eine Kampfansage als auch eine Liebeserklärung an den Mies-van-der-Rohe-Bau. Wer weiter um die gläserne Halle herumwandert, wird auf seiner Rückseite durchs Fenster den verspiegelten Schriftzug „Desire“ entdecken.

Rein wollte Bonvicini also immer schon, trotz aller Ränke mit van der Rohe. Begehren und Bekämpfen liegen nahe beieinander. Aus ihrer Hassliebe zu dieser Architektur-Inkunabel ist eine der spannungsvollsten, kraftvollsten Ausstellungen der Neuen Nationalgalerie der jüngsten Zeit geworden – nicht nur weil Corona den Betrieb in den vergangenen zwei Jahren ausbremste, sondern auch weil die jüngsten Projekte am Haus mit performativen Interventionen eher punktuell ausfielen.

Bonvicini rockt den Mies-van-derRohe-Bau auch im Inneren. Eine 36 Meter breite Spiegelfläche stellt sich dem Besucher in der Hallenmitte entgegen, hinter dem sich ein begehbares Podest verbirgt. Erneut wird die kühle Stringenz der Moderne ausgehebelt: Menschen spiegeln sich darin, die ursprünglichen Proportionen gehen verloren. Architektur antwortet hier auf Architektur, Mies würde sich im Grab umdrehen. Berlins „Miesianer“, wie Kurator Joachim Jäger dessen Jünger nennt, intervenierten vergeblich gegen Bonvicinis Eingriffe.

Monica Bonvicini steht vor einem Spiegel der Sonderausstellung „I do You“ in der Neuen Nationalgalerie.
Monica Bonvicini steht vor einem Spiegel der Sonderausstellung „I do You“ in der Neuen Nationalgalerie.
© dpa, VG Bildkunst Bonn 2022

Mit der Ausstellung „I do you“ würdigt die Neue Nationalgalerie eine der international erfolgreichsten Bildhauerinnen Deutschlands. Und natürlich erinnert Biesenbach bei der Eröffnung daran, wie er und Monica in den 1990er Jahren gemeinsam in der Auguststraße ihre Karrieren begannen. „Children of Berlin“ nannte er damals eine Ausstellung, mit der sie beide auf Reisen gingen. Dass die 57-Jährige auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn eine Schau im Allerheiligsten ihrer Heimatstadt erhält, ist da angemessen.

Bitter nur, dass sie ausgerechnet in dem Moment in den Strudel der Me-too-Affäre um Galerist Johann König gerät. Nachdem die Künstlerin ihre Galeriezugehörigkeit ab Anfang November hatte ruhen lassen, bis die Vorwürfe gegen König geklärt seien, war sie in einem offenen Brief des anonymen Kollektivs „Soup du Jour“ scharf dafür kritisiert worden, sich als Feministin nicht eindeutiger positioniert zu haben.

Wer gewinnt Macht über wen? Darum geht es

König nahm ihr die Entscheidung ab, indem er seinerseits die Zusammenarbeit aufkündigte – als vermeintliche Schutzmaßnahme für seine Künstlerin gegen weitere Anwürfe im Netz: eine unverhohlene Drohung gegenüber anderen Galerieangehörigen, sich nicht gegen ihn zu stellen. Auf eine Reaktion seiner anderen Großkünstlerin Katharina Grosse wurde umso gespannter gewartet – und wie sie nun aus diesem Powerplay hervorgeht. Wie nun bekannt wurde, hat sie die Galerie inzwischen verlassen – wie so manch andere Stammkünstler:in.

Ironie der Geschichte: Genau darum kreist Monica Bonvicinis Kunst. Wer gewinnt Macht über wen? Ketten, Handschellen, Ledergürtel, Bondage-Utensilien sind ihre Requisiten. In der Nationalgalerie hängen zwanzig Paar Handschellen entlang dreier Fensterfronten an langen Metallketten von der Decke. Auf Wunsch dürfen sich jeweils zwei Besucher für mindestens dreißig Minuten anschließen lassen, jeder an einem Ende der Kette, was als Einladung zur Kommunikation, zur Interaktion mit dem Gebäude gilt – „You to me“, so der Titel.

Bisher fielen die Mittel bei diesem Machtkampf martialisch aus, Bonvicini rannte gegen Mauern an. Ihr bekanntestes Video aus der Frühzeit, „Hausfrau Swinging“ (1997), das nun in einer Garderobe zu sehen ist, zeigt eine nackte Frau mit einem Giebeldachhaus aus Pappe auf dem Kopf, die damit immer wieder gegen eine weiße Raumecke hämmert.

 Richard Serra wäre nicht gefragt worden, warum seine Skulpturen so groß sind. 

Monica Bonvicini, Bildhauerin

Das Heim als Ort weiblicher Gefangenschaft, der männlich dominierte White Cube, all das spielt in diese verzweifelte Performance hinein, die von ihrer Wucht nichts eingebüßt hat. Auch die ein Jahr später als Schüttung inszenierten zwei Tonnen Fassadenschutt der Alten Nationalgalerie zeugen vom Zorn der damals jungen Künstlerin.

Stand sie früher eher für Vandalismus – unvergessen ihr Schlachtruf „We will burn the house!“, nachdem sie 2005 den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst gewonnen hatte und zur anschließenden Party einlud –, kommt das Werk heute erstaunlich konstruktiv, ja elegant daher. Ihre Schaukeln, deren silbrige Ketten attraktiv glänzen, wirken nicht mehr dem Swingerclub entliehen, die gebündelten Neonröhren spenden gepflegtes Licht, und die mit Lederpolstern und Nieten gestalteten Sitzmöbel des Schweizer Designers Willy Guhl besitzen Schick. Ja, man soll es sich auf ihnen gemütlich machen.

Trotzdem strahlt die Ausstellung ästhetische Klarheit und intellektuelle Schärfe aus. Das großräumig in die Halle eingebaute Podest ist keine Rempelei mehr gegen die Architektur der Moderne wie früher, sondern ein eigener Wurf. Über eine der für Bonvicini typischen, aus Stahlrohren und Metallketten konstruierten Treppenskulpturen gelangt man aufs Podest, den „Upper Floor“, den die Textilarbeit „Breach of Décor“ bedeckt. Der Teppich zeigt Dutzende Fotografien von Hosen, die Bonvicini abgestreift zu Hause auf dem Boden liegen ließ. Plötzlich wirkt der Ort besetzt, ja intim und wohnlich. „I do you“ – die vor dem Eingang des Miesvan-der-Rohe-Baus gemachte Ankündigung ist umgesetzt.

Handschellen an Edelstahlketten mit dem Titel „You to Me“.
Handschellen an Edelstahlketten mit dem Titel „You to Me“.
© dpa, VG Bildkunst Bonn 2022

Hier oben ändert sich endgültig die Perspektive. Die Museumsdecke ist nicht länger majestätisch hoch, der Besucher respektgebietend verzwergt. Und plötzlich fällt der Blick nach draußen auf die nächste architektonische Großtat am Kulturforum. Nebenan öffnet sich gähnend die Baugrube für das Museum des 20. Jahrhunderts. Wäre es stattdessen nicht an der Zeit, sich hier zu wehren? Klimatechnisch stellt das von Herzog & de Meuron geplante Gebäude eine Katastrophe dar. Künstler:innenproteste gab es bislang noch keine.

Monica Bonvicini jedenfalls hat mit Mies, der Moderne und den anderen Kerlen wie Breuer, Wright und Scharoun inzwischen ihren Frieden geschlossen. „Architektur ist kein Cocktail“, zitiert sie van der Rohe auf einer weiteren Spiegelwand mit Sprüchen berühmter Baumeister. Ihre institutional critique gilt weiterhin, nur ohne die Provo-Geste der früheren Jahre. Stattdessen souverän.

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