Kammermusikfestival „Fliessen“: Von der Verzweiflung zum Halleluja

Wo genau liegt eigentlich Fliessen? Auch bei der 3. Edition des internationalen Kammermusikfestivals im Spreewald und in der Niederlausitz taucht die Frage gelegentlich noch auf.
Bei der Eröffnung der diesjährigen „Fliessen“-Woche in der Paul Gerhardt-Kirche in Lübben, gibt Wolfram Korr, der Künstlerische Leiter der Brandenburgischen Sommerkonzerte, in deren Rahmen das Festival stattfindet, eine einleuchtende Antwort: „Fliessen liegt im musikalischen Himmel. Wenn es fließt, haben wir ein Miteinander erreicht.”
Verzicht auf steife Riten
Um das Miteinander vor allem geht es. Der Verzicht auf steife Riten und Sonntagsgarderobe gehört zu diesem besonderen Erlebnis, aber vor allem die exzellenten Darbietungen preisgekrönter, international gefragter Künstler, die auf Einladung der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und ihres Mannes, des Pianisten Martin Helmchen, eine Woche lang hier zusammen kommen, um gemeinsam zu musizieren und mit ihren Familien und Kindern die Natur zu genießen.
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud” steht über dem ersten Konzert, könnte aber auch das Motto des gesamten Festivals sein. In der Kirche, in der der große Kirchendichter Paul Gerhardt begraben liegt, wird die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, zwischen Verzweiflung, Hoffnung und Jubel zelebriert.
Fliessen liegt im musikalischen Himmel.
Wolfram Korr
Mit Ludwig van Beethovens Streichtrio c-Moll, beginnt es. Stephen Waarts (Violine), Timothy Ridout(Viola) und Marie-Elisabeth Hecker (Violoncello) werfen sich konzentriert und auch mimisch ausdrucksstark die musikalischen Bälle zu.
Alfred Schnittkes Sonate für Cello und Klavier bringt alle Facetten der Verzweiflung unter das Kreuz in dieser Kirche, inspiriert von den Repressionen des untergehenden Sowjetreiches der 80er-Jahre. Aber auch jeder andere Auslöser, jeder Schicksalsschlag könnte sich in den wilden, teils atonalen Passagen widerspiegeln. Helmchen berichtet, wie er dem Künstler einmal vor dessen Tod noch persönlich begegnet ist.
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international renommierte Künstler kommen in ländlicher Umgebung zusammen.
Heller geht es weiter nach der Pause mit Johann Sebastian Bachs Sonate A-Dur für Flöte, der „Halleluja-Sonate, wie Flötist Pirmin Grehl sie empfindet und darbietet, gemeinsam mit Cédric Pescia am Klavier. Die achte Strophe des Motto gebenden Gedichts gibt hier den Ton an: „Ich singe mit, wenn alles singt, / und lasse, was dem Höchsten klingt, / aus meinem Herzen rinnen.“
Zum Abschluss spielen Hornistin Sybille Mahni, Stephen Waarts und Martin Helmchen das von Trauer und Licht durchzogene Trio Es-Dur für Horn, Violine und Klavier von Johannes Brahms. „Fliessen“, das ist auch ein erhebendes Rundum-Erlebnis. Gemeinsames Singen gehört dazu ebenso wie Gespräche über Spiritualität und die Kraft, die Menschen daraus ziehen können.
Wer mag, addiert individuell vielleicht ein Fahrt mit dem Spreewaldkahn oder ein Essen im Schlosshotel Lübbenau.. Die Künstler treffen sich zur Feier des Auftakts im Hof der Blu Garden Appartments in einem Lübbener Vorort mit ihren Familien und anderen Mitwirkenden. Auch die Gründerfamilie um Werner und Karin Martin, feiert mit, hat Wein und Südtiroler Gaumenfreuden zum Fest beigesteuert, was den familiären Charakter noch vertieft.
Aus den Gesprächen geht hervor, dass Agenten es wohl sehr schwer haben, zur „Fliessen“-Zeit die Künstler aus dem Spreewald wegzulotsen. Zu kostbar ist diese inspirierende Atmosphäre, in der außerordentliche Leistungen nicht in der Kälte eines anonymen Hotelzimmers ausklingen, sondern im gemeinschaftlichen Spielen und Philosophieren.
Dieser Schub an Lebensfreude klingt mit bei den Konzerten, die bis zum Samstag, dem 12. Juli, täglich stattfinden, und für die es noch Restkarten gibt. Das Abschlusskonzert in der Drauschemühle in Bornsdorf ist dem Nachwuchs gewidmet, mit Werken, die auf Augenhöhe für junge Hörer geschrieben wurden. Dorthin gibt es auch einen Bustransfer für den sorglosen Rundum-Genuss.