Senegalesische Kunst archiviert und vergessen: Ken Aicha Sy sucht die Bilder ihres Vaters
Die Bilder des senegalesischen Künstlers El Hadji Sy waren 2022 eines der Highlights des Gallery Weekends in Berlin, bei der Documenta 14 stand und hing seine großformatige Malerei in der Documenta-Halle in der Karlsaue. In der jetzigen Ausstellung in der ifa-Galerie ist kein einziges Original von ihm zu sehen. Nur zwei körnige Reproduktionen seiner abstrakt-figurativen Gemälde. Die von Ken Aicha Sy, der Tochter des Künstlers, kuratierte Schau erzählt von einer schmerzlichen Leerstelle.

© Anne Jean Bart
Sy zeigt in der Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) das Ergebnis einer fünfjährigen Recherche, bei der sie sich auf die Spuren ihres heute 70 Jahre alten Vaters in Europa begab. Die Ausstellung ist ein überraschender, abwechslungsreich inszenierter Mix aus Recherche und Überblick über die Kunstszene Senegals zwischen 1960 und 1990, der mit viel Textmaterial und wenig Kunstwerken arbeitet und trotzdem einnehmend ist.
Wo sind die Bilder von El Hadji Sy?
In ihrer Ausstellung „Survival Kit. Between Us and History: The Hidden Archive“ berichtet Sy von Hindernissen bei der Recherche, sie macht auf hegemoniale Strukturen in Museen aufmerksam, die sich selbst auf die zeitgenössische Kunst aus Afrika noch auswirken. In dieser Hinsicht passt die Ausstellung gut zum Konzept, mit dem Ayla Sebti, Leiterin der ifa-Galerie, 2016 angetreten ist. Mit der transdisziplinären Reihe „Untie to Tie“ wollte Sebti zum Diskurs über die Langzeitfolgen des Kolonialismus einladen.
So viele einzigartige Kunstwerke und Dokumente sind in Bunkern weggeschlossen, wo niemand Zugang zu ihnen hat.
Kuratorin Ken Aicha Sy
Als Startpunkt für ihre Suche nennt Ken Aicha Sys den Tod ihrer Mutter, der Journalistin und Kulturaktivistin Anne Jean Bart, im Jahr 2019. Beim Sortieren des Nachlasses stieß sie auf das Familienarchiv, das Fotos und Artikel von Bart enthielt, die in der Zeitung „Le Soleil“ veröffentlicht worden waren und subjektive Schlüsselmomente der zeitgenössischen senegalesischen Kunstszene festhielt – mit El Hadji Sy als zentraler Figur.
Da Sy nicht mit ihrem Vater aufgewachsen ist, war vieles für sie Neuland. Warum ist das Schaffen ihres Vaters im Senegal kaum bekannt? Warum schrieben zur zeitgenössischen Kunst in dem westafrikanischen Land fast ausschließlich deutsche oder amerikanische Autoren, fragte sie sich und reiste nach Deutschland. Später nutzt sie eine Residency am ZK/U in Moabit, um an ehemaligen Ausstellungsorten ihres Vaters zu recherchieren.
El Sys performative Malerei
Der Maler, Kurator und Aktivist El Hadji Sy, 1956 im Senegal geboren, wandte sich nach seinem Studium an der École Nationale des Beaux-Arts in Dakar bewusst gegen die Malerei der „Schule von Dakar“ seit den 1960er Jahren und den vom ehemaligen senegalesischen Präsidenten und Dichter Léopold Sédar Senghor verordneten Kulturbegriff der „Négritude“.
El Sy wollte sich in seiner Kunst von der staatlichen Linie emanzipieren, das Label „afrikanische Kunst“ lehnt er ab. Er war Gründer und Mitglied interdisziplinärer, performativ und sozial arbeitender Künstlerkollektive wie Laboratoire Agit’Art und Tenq, gründete Künstlerdörfer in verlassenen Kolonialgebäuden oder Arbeiterwohnungen. Jahrelang malt er seine Bilder mit den Füßen, nutzte Jutesäcke, Backbleche und was er eben in seiner Umgebung als Malgrund fand.
Bereits 1989 kuratierte er die erste Überblickschau zur zeitgenössischen Kunst seines Heimatlandes für das Völkerkundemuseum (später Weltkulturen Museum) in Frankfurt am Main. 2015 gab es dort eine große Einzelschau seiner Malerei, kuratiert vom Künstler selbst, der damaligen Leiterin Clémentine Deliss und Philippe Pirotte als Rektor der Städelschule.