Werke ohne Autor: In dieser Kreuzberger Ausstellung gibt es kein Namedropping
Kunst verbindet, erst recht, wenn sie selbst produziert wurde. Etwa 1200 Arbeiten hängen in der Ausstellung „Anonyme Zeichner*innen“ dicht an dicht an den Wänden des Kunstraums Kreuzberg im alten Bethanienkrankenhaus. Landschaftszeichnungen sind dabei, Porträts von Menschen, Tieren und Maschinen sowie grafische Strukturen.
Der Raum zwischen den mit Zeichnungen gefüllten Wänden war zur Eröffnung ebenfalls dicht gepackt – mit neugierigen Menschen aller Altersgruppen. Die Eröffnung wirkte wie ein Volksfest, ganz so, als wären alle die, die Zeichnungen eingereicht hatten, zur Vernissage gekommen, und als hätten sie auch noch Freunde und Verwandte mitgebracht.
„Sicherlich sind nicht alle gekommen, die eingereicht haben. Es sind ja auch viele internationale Künstler*innen dabei. Aber ich denke schon, dass viele, die in Berlin leben, jetzt hier sind“, freut sich Stéphane Bauer, Künstlerischer Leiter des Kunstraums, über den Andrang.
Nur die Qualität zählt
Viele Menschen zückten ihre Mobiltelefone. Die einen, um das Arrangement ihrer Bilder festzuhalten, die anderen, um sich zu merken, welche Arbeiten sie erwerben möchten. Denn diese Ausstellung ist – sehr selten für eine kommunale Galerie – eine Verkaufsausstellung.
„Es ist passend zur Weihnachtszeit. Man kann einfach Spaß an den Zeichnungen haben und die, die einem gefallen, als Weihnachtsgeschenk erwerben“, erkärt Bauer. 250 Euro kostet jede Zeichnung. Und schon am Tag der Eröffnung zogen Besucherinnen und Besucher mit gleich mehreren Pappdeckeln unter dem Arm, die Zeichnungen enthielten, von dannen.
Ausgedacht hat sich das Projekt die Zeichnerin und Installationskünstlerin Anke Becker. „Es begann 2006. Damals wurde der mit Brillanten besetzte Totenkopf von Damien Hirst verkauft. Ich kam gerade von der Kunsthochschule und dachte: ,Dieser Kunstmarkt ist ja grauenhaft. So geht das nicht.’ Als abendliche Schnapsidee entstand dieses Projekt, damals noch in meinem eigenen Projektraum an der Prenzlauer Allee“, blickt sie auf die Anfänge zurück. Den Projektraum verlor sie bald und zog nomadisierend durch andere Räume. 2009 nahm Stéphane Bauer die Idee erstmals in sein Programm im Kunstraum Kreuzberg auf.
Auswahl aus 4000 Einsendungen
Die aktuelle Ausgabe ist riesig. Über 4000 Einsendungen gab es, erzählt Becker. In mehreren Sichtungsrunden reduzierte sich die Auswahl auf die ausgestellten etwa 1.200 Werke. Die Anonymität bleibt gewahrt. Die Website ist so programmiert, dass Becker zwar Kontakt zu den Einsenderinnen und Einsendern halten kann, selbst aber deren Identität während des Auswahlprozesses nicht erfährt.
„Anonym kuratieren ist toll. Man kann das sehr entspannt machen und muss nicht sagen: ‚Oh, das ein…‘“ – hier nennt sie den Namen eines prominenten Künstlers – und fährt dann fort: „‘…den muss ich jetzt nehmen, selbst wenn es ein ziemlich schlechtes Blatt ist.‘“ Nein, nicht der Name und die künstlerische Biografie bestimmen den Auswahlprozess, sondern allein die visuelle Qualität. Das ist durchaus revolutionär für den von Namen und Marken geprägten Kunstbetrieb.
Bei den „Anonymen Zeichner*innen“ erfährt man den Namen erst, wenn das Werk bereits verkauft ist. Dann gibt es eine Lücke an der Wand, und der Name, der auf der Rückseite des Werks steht – „hoffentlich immer in schön leserlicher Schrift“, bangt Becker – kommt auf die Leerstelle am Mauerwerk.
Die Arbeiten selbst weisen eine große Bandbreite auf. Manches wirkt eher als Erstlingswerk im Zeichenunterricht. Andere Linienführungen sind routinierter. Auch Computergrafik und Collage gibt es. In den letzten Jahren beobachtete Becker eine Zunahme von Arbeiten aus dem Street Art und Comic-Bereich.