Kolumne „Mehrwert“, Folge 34: Amerikas Antisemitismus hat eine lange Geschichte
Das US-Verkehrsministerium hat die Lufthansa zu einer Vier-Millionen-Dollar-Strafe verdonnert, weil die Airline orthodoxen Juden im Mai 2022 in Frankfurt am Main die Weiterreise nach Budapest verweigerte: die höchste Zahlung, die das Ministerium je wegen einer Bürgerrechtsverletzung verlangte.
Der Vorfall: Einige der 128 Betroffenen hatten auf dem Flug von New York keine FFP2-Maske getragen. Es handelte sich jedoch keineswegs um eine Gruppe, sondern lediglich um Pilger mit einem gemeinsamen Ziel, dem Grab eines als wundertätig geltenden Rabbis in Ungarn.
Nirgends leben mehr Juden als in den Vereinigten Staaten
Es waren Männer mit Schläfenlocken, Menschen, die als Juden identifizierbar waren und als „Gruppe“ behandelt wurden, die nicht weiterfliegen durften. Die Lufthansa bestreitet die Diskriminierung, hat sich jedoch mehrfach wegen „Fehlinterpretationen“ entschuldigt.
Das Signal des Ministeriums: Amerika duldet keinen Antisemitismus. Über sieben Millionen Juden leben in den USA, weltweit die größte jüdische Bevölkerung. Gleichwohl verzeichnet auch das wichtigste Zufluchtsland nach dem Holocaust eine Nachkriegsgeschichte des Judenhasses.
Donald Trumps Nähe zu den Suprematisten; deren faschistische Denkmuster von der Diffamierung von Minderheiten als „Staatsfeinde“ bis zur Propagierung von Gewalt zwecks Erneuerung der Nation; die Gewalt gegen jüdische Studierende bei pro-palästinensischen Uni-Kundgebungen – all das hat einen Nährboden.
Schon in den 1940er und 1950er Jahren gab es Anschläge auf jüdische Einrichtungen. Der Antikommunismus der McCarthy-Ära trug antisemitische Züge; 1984 wurde der jüdische Radiomoderator Alan Berg ermordet – Filme wie Oliver Stones „Talk Radio“ oder der kürzlich in Venedig uraufgeführte Politthriller „The Order“ mit Jude Law erzählen davon.
2018 wurden elf Menschen in einer Synagoge in Pittsburgh erschossen, seitdem gab es weitere, teils tödliche Anschläge. 2023 summiert sich die Zahl der antisemitischen Vorfälle laut Anti-Defamation-League auf 8873, mehr als doppelt so viele wie 2022. Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 geht die Kurve noch steiler nach oben.
Im Januar kommt „The Brutalist“ mit Adrien Brody in die deutschen Kinos: Ein ungarischer Architekt erlebt als Emigrant die Verlogenheit eines Einwanderungslands, das ihn als Holocaust-Überlebenden bestenfalls duldet und brutal für die eigenen Zwecke benutzt.
Der amerikanische Traum als Trauma, als Fortsetzung des Zivilisationsbruchs. Wird der Ausgang der US-Wahl am 5. November dem grandiosen Film zusätzliche Aktualität bescheren?
Christiane Peitz schreibt in dieser Kolumne regelmäßig über Diskriminierung und Menschenrechte.