„Kunst dürfen wir nicht den Millionären überlassen“: In diesem Berliner Auktionshaus ist es okay, nur zu gucken

Frau Winter, seit 15 Jahren arbeiten Sie in der Berliner Kunstszene, heute leiten Sie das Auktionshaus am Grunewald, das Kunst zugänglicher machen soll. Was ist damit gemeint?
Kunst dürfen wir nicht den Millionären überlassen, dafür macht sie zu viel Spaß. Man muss eben keine 200.000 Euro für Kunst ausgeben. 200 reichen. Zugänglichkeit funktioniert bei uns über den Preis und darüber, dass man nicht wissen muss, wer Joseph Beuys war. Wer Gerhard Richter nicht kennt – völlig egal, frag mich.

Viele Menschen kaufen Kunst nicht, weil es Spaß macht, sondern weil sie Geld damit verdienen wollen.
Ich glaube, das funktioniert in Deutschland überhaupt nicht. Nur, wenn du dich richtig gut auskennst und sechs- bis siebenstellig investieren kannst. Wenn du für 1000 Euro Kunst kaufst, wirst du damit nicht reich. Kunst ist eine emotionale Währung. Das sieht man bei der Banane von Maurizio Cattelan.

… Sie meinen sein Werk „Comedian“ – eine mit Tape an die Wand geklebte 35-Cent-Banane – die gerade für 5,9 Millionen Euro von einem Krypto-Milliardär ersteigert wurde. Er hat sie dann gegessen.
Nicht das Material macht sie so teuer, wie es vielleicht bei Schmuck der Fall wäre, sondern die Aufmerksamkeit.

Was heißt das eigentlich: Kunst sammeln?
Ein großer Kunstsammler hat mal gesagt: Sammeln geht dann los, wenn man einlagert. Damit können unsere Kund:innen natürlich nichts anfangen. Für mich beginnt es, wenn man sich intensiv mit dem auseinandersetzt, was man kauft. Statt Sammeln kann man auch sagen: „Ich lebe mit Kunst und es verändert meinen Alltag“. Was es wirklich tut: Mit Kunst zu leben, verändert das ganze Leben.

Unter der Sphinx, dem Logo des Auktionshauses am Grunewald, fühlt sich Lena Winter besonders wohl.

© Marie Rosa Tietjen

Wie verändert das Bild im Wohnzimmer das Leben?
Die Werke in unserem Auktionshaus haben schon einige Jahre auf dem Buckel, die haben was gesehen und das merkt man. Die geben eine Aura ab, die den Raum verändert.

… eine Aura?
Aura ist dieses Geheimnisvolle, Magische – und ein Begriff aus der Kunsttheorie, der die Authentizität eines originalen Kunstwerks beschreibt. Ich meine beides. Es gibt diese Edition „Intuition“ von Joseph Beuys, mehrere mit Bleistift beschriebene Holzkisten, die er 1968 für acht Mark verkauft hat. Eine davon steht bei uns in der Vorbesichtigung. Ich fasse sie jeden Tag an und denke: Du wurdest von Joseph Beuys berührt, wie toll ist das denn. Das ist für mich Aura.

Wie kriegen Sie die Leute, die sich immer noch nichts darunter vorstellen können?
Über interessante Geschichten oder Biografien der Künstler:innen. Und durchs live angucken. Kommt zu einer Vorbesichtigung ins Auktionshaus, stellt euch vor ein Bild und guckt, was das mit euch macht. Selbst wenn es irgendwie abstößt, ist das super.

Florian Illies schrieb mal, dass Provokation eh der bessere Ratgeber sei, wenn es um Kunst geht, als Gefallen. Sonst laufe man Gefahr, zu harmlose Kunst zu kaufen, an der man sich sattsieht.
Naja, das ist so eine Profiaussage. Ich finde es einschüchternd, zu sagen: Trau dich, etwas zu tun, was du nicht verstehst. Wenn man sich provoziert fühlt, hat das ja oft damit zu tun, dass man etwas noch nicht decodiert hat. Man sollte – sich selbst oder jemand anderen – eher fragen: Warum ist da jetzt Blut auf dem Bild? Erst ein Verständnis entwickeln, dann das kaufen, von dem man glaubt: Ich habe echt Lust damit zu leben.

Mit Ihrem Auktionshaus wollen Sie Kunst einem breiteren Publikum zugänglich machen. Trotzdem heißt es „am Grunewald“, es gibt Auktionen statt Onlineshop und auf Instagram posten Sie Videos mit der Autorin Helene Hegemann. Spricht das nicht eher Menschen an, die ohnehin kunstaffin sind?
Ich glaube, vollständige Zugänglichkeit zur Kunstszene gibt es nicht. Dafür ist sie zu einschüchternd. Wir sind im Vergleich zugänglicher, allein durch die Preistransparenz. Als ich vor kurzem auf der Messe Art Cologne war, standen nirgendwo Preise dran. Ich wurde richtig weggesnobbt, als ich danach gefragt habe. „Preis auf Anfrage“ hieß es da – ja, ich habe gerade eine gestellt, hä?

Vor jeder Auktion veröffentlichen Sie einen Katalog mit den Werken und ihren Schätzwerten. Wie legen Sie diese Preise fest?
Anhand von Datenbanken mit früheren Verkäufen. Grundsätzlich schätzen wir ein bisschen unter Marktwert, damit die Auktion eine Dynamik bekommt. Durch die Auktion erhält das Kunstwerk dann den Preis, den jemand zu dem Zeitpunkt an dem Ort bereit ist zu zahlen. Das macht Auktionen aus: die Nachfrage. Wenn der Hammer fällt, kommen 30 Prozent Aufpreis dazu. Damit verdienen wir unser Geld. Ab 400 Euro gibt es noch zwei Prozent „Folgerecht“, quasi wie die Gema bei Musik.

Wie läuft so eine Auktion ab: Kann man sich einfach das Spektakel anschauen, ohne selbst zu bieten? Gibt’s was zu trinken?
Alkohol dürfen wir während der Auktion leider nicht ausschenken. Danach dann. Am besten kommt man 15 Minuten vor Beginn – mit Freunden, Hunden, Kindern – dann kriegt man eine Bieternummer und bietet mit oder nicht. Personalausweis nicht vergessen. Mittlerweile gibt es die Tradition, dass sich die Leute beklatschen. Selbst wenn jemand was für 300 Euro ersteigert hat, klatschen alle. Dazwischen sitzen etablierte Kunsthändler und sagen: „Seid ihr verrückt! Das ist ja eine Unart!“

Klatschen ist eine Unart?
Naja, bei 300 Euro klatscht man eigentlich nicht, man klatscht bei Weltrekorden. Aber wir klatschen bei 300 Euro, weil sich die Leute so freuen.

Apropos Rekorde: Das Auktionshaus Grisebach, in dem Sie früher arbeiteten, hält seit 2022 den Rekord für das teuerste in Deutschland versteigerte Kunstwerk. Ein Beckmann-Gemälde für 20 Millionen Euro. Haben Sie da bereut, Werke für 300 Euro zu versteigern?
Gar nicht. Ich finde es schade, dass man im deutschen Auktionswesen immer nur mit Rekorden konfrontiert wird. Es ist zwar wichtig, dass Kunst als Statussymbol funktioniert – wenn Kunst kein Status wäre, würde es zum Beispiel kein Mäzenatentum geben. Aber schon bei Grisebach habe ich den „Third Floor“, Kunst bis 3000 Euro, geleitet und das am liebsten gemacht.

Warum?
Mich hat diese Zielgruppe viel mehr interessiert, weil es anders um Kunst geht. Bei einem Fünf-Millionen-Euro-Werk geht es einfach um Geld. Bei 500 Euro auch mal, aber es geht einfach richtig doll um Kunst. Wenn es sich nur noch um „Money on the Wall“ dreht, verliert es den Sinn für mich.

Das günstigste Werk in Ihrem Katalog liegt bei 100 Euro. Verglichen mit anderen Häusern ist das erschwinglich – für viele Menschen trotzdem viel Geld. Wie lässt sich für weniger Geld mit Kunst leben?
Mit Postkarten und Ausstellungsplakaten aus Museen oder Galerien. Die einrahmen und im Petersburger Stil eng neben- und übereinander hängen. In meinem Zimmer hing früher „Betty“ von Gerhard Richter als Postkarte.

Nach 15 Jahren als Auktionatorin: Was ist das Magische an Auktionen?
Du weißt nie, was passiert. Für manche Werke arbeitest du drei Monate und niemand bietet. Andere trägt man in letzter Sekunde rein und es melden sich 100 Leute an. Wir denken jedes Mal, dass wir wissen, was am höchsten geht. Wir liegen immer falsch. Der Kaufprozess selbst ist ein Adrenalinding für die meisten Leute, irgendwie aufregend. Ich finde Bieten schon ein bisschen sexy. Auktionieren auch.