Dank eines Pokerspielers und besonderem Scouting: Der märchenhafte Aufstieg des Deniz Undav
Wenn Tony Bloom an den Pokertisch tritt, rechnet er im Kopf vor allen Dingen Wahrscheinlichkeiten durch. Eine Taktik, die es dem Briten ermöglicht, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nach und nach zum Profi in der Branche zu entwickeln. Seine kolportierte Gewinnsumme liegt bei knapp vier Millionen Euro.
Das Pokern ist dabei nicht mal sein Hauptgeschäft. Vielmehr hat es der studierte Mathematiker zum Beruf gemacht, Sportresultate vorauszusehen, sie quasi im Vorfeld auszurechnen – und das mit Erfolg. Der 54-Jährige mit dem Spitznamen „Lizard“ gründete schließlich die Datenfirma „Starlizard“ und revolutioniert mit dieser seit ein paar Jahren den internationalen Fußball.
Denn Tony Bloom ist geboren in Brighton und übernahm im Jahr 2009 kurzerhand 75 Prozent seines Herzensvereins Brighton & Hove Albion. Seitdem ist der englische Klub nach und nach gewachsen und spielt seit der Saison 2017/18 in der Premier League. Das Geheimnis hinter dieser Erfolgsgeschichte ist eine Art des Scoutings, die Spieler allein anhand ihrer Daten bewertet. Der Initiator: Tony Bloom.
Was haben nun also Bloom und die deutsche Nationalmannschaft miteinander zu tun? Ersterer hat einen gewissen Anteil daran, dass Deniz Undav und Pascal Groß sich in diesen Tagen mit der Nationalmannschaft auf die Heim-EM vorbereiten. Die beiden Fußballer stehen bei Brighton unter Vertrag. Groß wechselte 2017 mit 26 Jahren vom Bundesliga-Absteiger FC Ingolstadt nach England, Undav im Januar 2022, nachdem er in Belgien mit Union Saint-Gilloise auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Tony Bloom kaufte den belgischen Klub im Jahr 2018 vom deutschen Millionär Jürgen Baatzsch. Mittlerweile ist er nur noch Minderheitseigner, um den Regeln der Uefa zu genügen, die es verbieten, dass zwei Vereine mit dem gleichen Mehrheitseigner an europäischen Wettbewerben teilnehmen oder gar aufeinandertreffen.
Erfolgreicher Fußball durch mathematische Modelle
Beide Klubs eint weiterhin das besondere Scoutingkonzept. Anhand mathematischer Modelle wird frühzeitig ein Trend bei Spielern und ein gewisses Potenzial erkannt, wodurch Brighton oder auch Saint-Gilloise die Möglichkeit bekommen, Spieler früh und günstig zu verpflichten, ohne dass sie überhaupt auf dem Radar bei großen Klubs waren. Irgendwann werden sie teuer zur Konkurrenz transferiert.
Dieses Geschäftsmodell ist nicht unbedingt neu. Doch Brigthon und Saint-Gilloise machen es auf eine extrem effiziente Art und Weise. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind Ben White (für 58,5 Millionen Euro zum FC Arsenal), Alexis Mac Allister (für 42 Millionen Euro zum FC Liverpool), Moisés Caicedo (für die englische Rekordsumme von 116 Millionen Euro zu Chelsea) und Marc Cucurella (für 65 Millionen zum FC Chelsea) – alle ehemals Spieler von Brighton.
Groß und vor allem Undav sind dabei ebenfalls Spieler, die andernorts durchs Raster fielen, in Brighton aber perfekt ins Spielsystem passen und dadurch extrem erfolgreich sind. Für Bloom dürfte es demnach kaum überraschend gewesen sein, dass Undav beim VfB Stuttgart, zu dem der 27-Jährige noch bis zu diesem Sommer ausgeliehen ist, derart durchstartete (32 Spiele, 29 Torbeteiligungen) und schließlich von Bundestrainer Julian Nagelsmann für die EM nominiert wurde.
Ein Fußball, der rein auf Daten basiert, erscheint im ersten Moment völlig unromantisch. Und doch ist der Karriereweg, den Deniz Undav eingeschlagen hat, durchaus märchenhaft. Geboren in Achim bei Bremen, begann er mit sechs Jahren mit dem Fußball spielen. Der Stürmer verbrachte fünf Jahre bei Werder Bremen, wurde dort aber als 15-Jähriger aussortiert, weil er den Verantwortlichen „zu klein und zu moppelig“ gewesen war. Anschließend landete Undav über Umwege bei unterklassigen Vereinen 2018 im Profi-Fußball – beim SV Meppen.
Ich bin stolz auf meinen Weg. Ich glaube, ich habe viele Hürden überstehen müssen.
Deniz Undav, Fußball-Nationalspieler
2020 tauchte er aufgrund seiner herausragenden Statistik in Sachen Torbeteiligungen auf dem Radar von Saint-Gilloise auf. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte. „Ich bin stolz auf meinen Weg. Ich glaube, ich habe viele Hürden überstehen müssen“, sagte Undav am Mittwoch in Blankenhain. „Wer weiß, wenn ich im NLZ (Nachwuchsleistungszentrum, Anm. d. Red.) gewesen wäre die ganze Zeit, hätte ich vielleicht irgendwann keine Lust mehr auf Fußball gehabt und so habe ich den Spaß immer noch und versuche, jeden Moment zu genießen.“
Auch bei der Nationalmannschaft gilt Undav als Spaßvogel, der auf dem Platz dann aber den Schalter umlegen kann und extrem fokussiert auftritt. „Er trägt sein Herz auf der Zunge. Und in der Kabine ist er häufig zu hören“, sagte einst Sebastian Hoeneß, Trainer von Stuttgart, über den Angreifer. In seiner Zeit bei Brighton habe Undav nach eigener Aussage gelernt, wie wichtig es sei, für das Team zu arbeiten, auch mal scheinbar unnötige Laufwege zu machen. Plötzlich sei er viel effektiver und wertvoller für die Mannschaft geworden – auch beim VfB in dieser Spielzeit.
Dass Undav in Stuttgart bleiben will, hat er bereits mehrfach öffentlich betont. „Die Gespräche laufen. Ich habe meinen Wunsch geäußert und meine Position klar gemacht und jetzt muss man schauen, was passiert“, so Undav. „Ich hoffe, dass ich beim VfB bleiben kann, das ist mein Ziel und darauf arbeite ich hin.“
Zunächst gilt sein Augenmerk aber der anstehenden EM. „Es gibt nichts Größeres, als eine EM zu Hause zu gewinnen und das ist das Ziel. Ich hoffe, dass ich weiterhin diese Lockerheit habe, um meine Leistung zu bringen“, meinte Undav. Seine Devise: Im Training Gas geben, um eine echte Option im Sturm für Julian Nagelsmann zu sein. „Und dann hoffe ich, dass ich meine Einsatzzeiten kriegen.“