Wenn die Hand ausrutscht im Showgeschäft

Die Ohrfeige ist, wenn man so sagen darf, seit dem Wochenende in aller Munde. Bei einer Boxveranstaltung in Dortmund haut ein Rapper, der sich Fat Comedy nennt, dem Fernsehpromi Oliver Pocher eine runter. Die Attacke wird gefilmt und geht viral. Will Smith stürmt, vor aller Augen, bei der Oscar-Zeremonie in Los Angeles auf die Bühne und ohrfeigt den Kollegen Chris Rock – der hatte einen dämlichen Witz über Smiths Frau gemacht. Das Netz liebt solche Aktionen. Der Ohrfeiger wie der Geohrfeigte generieren die kostbarste Ressource: Aufmerksamkeit.

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Die öffentliche Maulschelle, Backpfeife, die Watsche hat zugleich einen bemerkenswerten Bedeutungsverlust erfahren. Sowohl Pocher als auch Rock hätten im 19. Jahrhundert Satisfaktion verlangen können, ja müssen. Ihre Ehre wurde sichtbar verletzt, und das war auch oft der Sinn des Angriffs.

Es wäre in früheren Zeiten zum Duell gekommen, mit Pistolen. Die alten Romane sind voll davon. Ein Offizier schlägt einem Gentleman mit dem Handschuh leicht ins Gesicht, deutet eine Ohrfeige an, um den Ehemann seiner Geliebten vor den Lauf zu bekommen. Oder im Liebesunglück den romantischen Tod zu suchen.

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Hoch einzuschätzen ist die Courage der Beate Klarsfeld, die 1968 in der Berliner Kongresshalle Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf dem Podium ohrfeigte und „Nazi, Nazi“ rief. Der CDU-Politiker war Mitglied der NSDAP gewesen und hatte ab 1940 eine herausgehobene Position im Außenministerium. Klarsfeld wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, musste als französische Staatsbürgerin aber nicht in den Knast. Heinrich Böll soll ihr rote Rosen geschickt, Günter Grass die Aktion abgelehnt haben.

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Bei der nächsten Bundestagswahl gewann Willy Brandt, ein Emigrant. Kanzler Kiesinger war in seiner Ehre verletzt und damit auch das Amt, das er innehatte. Aber die Frage ist, ob ein ehemaliger Nazi in der Bundesrepublik überhaupt auf seine Ehre pochen konnte. Ob er sie nicht längt verspielt hatte, wie der Parteifreund Filbinger, den der Schriftsteller Rolf Hochhuth mit seinen Recherchen zum Rückzug zwang.

Ein Shitstorm schmerzt mehr

In Shitstorm-Zeiten wirkt die publikumswirksame Ohrfeige banal. Organisierte Angriffe im Netz sind sehr viel wirksamer und schmerzhafter, sie können Menschen ruinieren. Aber das darf nicht davon ablenken, was die Ohrfeige, gern auch im Slapstick genommen, im Grunde ist: eine Gewalttat oder der Anfang davon. Noch die Generation der Baby Boomer weiß von prügelnden Gymnasiallehrern zu erzählen, die sich nicht scheuten, mit dem Schlüsselbund nach Schülern zu werfen.

Schläge auf den Hinterkopf, das war in den Sechziger- und Siebzigerjahren Schulalltag. Zu schweigen von Demütigungen, verbalen Attacken, die man heute Mobbing nennt.

Damit mag Schluss sein. Doch in den Familien lebt die Tradition der angeblich leichten Züchtigung weiter. Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Frauen und auch männliche Partner hat zugenommen in der Pandemie. Ohrfeigen sind nicht harmlos, sie können zu schweren Verletzungen am Ohr führen. Sie sind deshalb zu Recht im Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung seit dem Jahr 2000 verboten.