35 Jahre „Die Simpsons“, 70 Jahre Matt Groening: Der Walt Disney von Springfield
Vor knapp 35 Jahren lief im US-Prime-Time-Fernsehen die erste Folge der Zeichentrickserie „Die Simpsons“, die seitdem weltweit erfolgreich ist. An diesem Donnerstag wird ihr Erfinder Matt Groening 70 Jahre alt. Am 22. März startet im Schauraum Dortmund die Ausstellung „Gelber wird’s nicht“ über die Simpsons und ihre Macher. Zehn Fragen an Kurator Alexander Braun zum Jubiläum der Show und ihres Schöpfers.
„Die Simpsons sind der größte Medienerfolg aller Zeiten“, heißt es in der Ankündigung Ihrer Ausstellung. Wie lässt sich das Erfolgsgeheimnis der Reihe zusammenfassen?
Mit nun bereits 35 Jahren Laufzeit – die 36. Staffel ist bereits bestätigt – sind die Simpsons tatsächlich die längste US-TV-Serie „ever, ever, ever“. Bereits vor 15 Jahren haben sie „Rauchende Colts“ mit 20 Jahren Laufzeit vom Thron gestoßen. Das ist ein unfassbares Phänomen, zumal es sich ja um eine Zeichentrickserie handelt, ein Genre, das vor den „Simpsons“ ausschließlich mit Kinderunterhaltung assoziiert wurde, und um Drehbücher, die durchaus subversive und kontroverse Inhalte transportieren. Bei den „Simpsons“ wird geraucht und getrunken, niemand schnallt sich an im Auto, Lehrer, Pastoren, Polizisten sind alle gleichermaßen unfähig, Väter würgen ihre Söhne und das Nicht-Anerkennen von Autoritäten scheint in Springfield Volkssport zu sein. Da gibt es tatsächlich kein leichtes Erklärungsmodell für den Erfolg, schon gar nicht angesichts eines höchst disparaten und häufig bigotten Publikums in den USA. Für den Erfolg kommen also ganz viele unterschiedliche Aspekte zusammen.
„Nicht der kleinste gemeinsame Nenner des Publikumsgeschmacks führte zum Erfolg, sondern das Nonkonformistische, Unangepasste“, heißt es in Ihrer Ankündigung weiter. Wieso kommen der subversive Humor und die bissigen, gesellschaftskritischen Pointen weltweit so gut an?
Die „Simpsons“ sind eine extrem faszinierende Mischung. Die Serie legt ihre Finger in alle nur erdenklichen Wunden der westlichen Welt: Umweltverschmutzung, Kapitalismus der härtesten Gangart, Ausbeutung, Verdummung durch die Medien, kurz: alles Schlechte, was unsere Kultur zu bieten hat. Viele der Figuren verhalten sich wie Proleten oder bornierte Spießbürger. Aber dann existiert gleichzeitig auch das Gegenteil: Die Charaktere verbreiten inmitten ihres limitierten Milieus Würde, sie verteidigen ihre Lebensart mit Leidenschaft, inklusive der Bereitschaft, sich verbessern zu können. Und nicht zuletzt agieren sie mit einer gehörigen Portion Liebe im Herzen. Die Oberfläche repräsentiert Tumult und Anarchie, darunter aber herrschen Zusammengehörigkeitsgefühl und Zuneigung füreinander. Das entspricht unser aller Lebenserfahrung: Die Welt ist Scheiße. Machen wir das Beste draus. Irgendwie. Reißt euch zusammen.
Matt Groening, der Schöpfer der Reihe, wird am 15. Februar 70 Jahre alt. Wieweit reflektieren Groenings Figuren die Persönlichkeit ihres Erfinders?
Sam Simon, neben Matt Groening und James L. Brooks Mastermind der ersten Stunde, hat mal gesagt, dass es gespenstisch gewesen sei, zu erleben, wie nah Groening noch immer seinem Leben als Zweitklässler ist. Groening ist in einer gleichermaßen christlichen wie liberalen Familie aufgewachsen. Sein Vater hatte eine Werbeagentur in Portland, hat selbst gezeichnet und äußerst innovative Kampagnen und Kurzfilme gemacht. Matt und seine Geschwister durften alles im Fernsehen schauen, was sie wollten, und Comics lesen, bis ihnen die Augen rausfielen. Gleichzeitig hat Matt sehr an der Schule und ihren Regeln gelitten. Diese Mischung findet sich auch in den „Simpson“ wieder: kreativ, verspielt, aber auch unangepasst und rebellisch. Immer in Opposition gegenüber Autoritäten.
Haben Sie Groening in Vorbereitung der Ausstellung getroffen oder gesprochen – und wird er anlässlich Ihrer Simpsons-Ausstellung dieses Jahr vielleicht persönlich nach Deutschland kommen?
Ich habe sehr viel mit Bill Morrison geredet, quasi Matts rechte Hand für alle „Simpsons“-Illustrationen und jahrelang Herausgeber und Art-Director der „Simpsons“-Comics. Was Matt betrifft, darf man nicht vergessen, dass er jetzt 70 ist, die „Simpsons“-Maschine mit all ihren Verpflichtungen weiter auf vollen Touren läuft und er daheim sieben kleine Kinder im Alter von 1 bis 7 hat. Seine zweite, deutlich jüngere Frau hat zwei Mal Zwillinge bekommen. Das heißt, der arme Mann hat echt Besseres zu tun, als sich in einen Flieger nach poor old Germany zu setzen. Obwohl das tatsächlich eine Art Heimkehr wäre, denn Matt Groenings Großvater war deutschsprachiger Mennonit und auch sein Vater sprach zu Hause Deutsch bis Matt in die Schule kam.
Vor den Simpsons schuf er die Comicreihe „Life in Hell“, die die Absurditäten des Alltags kommentiert. Wieweit ebnete dieser Comic den Weg zu den Simpsons?
Ohne „Life in Hell“ würde es keine „Simpsons“ geben. Das war der Comic-Strip, den Hollywood-Produzent James L. Brooks entdeckte und sich vorstellen konnte, daraus 1987 kleine animierte Clips für die „Tracey Ullman Show“ zu machen, die er gerade aus der Taufe hob. Die „Simpsons“ entstanden dann, weil Matt Groening kurz vor dem entscheidenden Termin kalte Füße bekam, und seine Protagonisten aus „Life in Hell“ auf keinen Fall preisgeben wollte. Also kritzelte er in fünf Minuten die Familie Simpson aufs Papier. Das war’s. Die „Simpsons“ wirklich selbst gezeichnet hat er nie. Aber: insgesamt 35 Jahre „Life in Hell“. Das ist immer zu hundert Prozent sein eigenes Kind geblieben, da hat er niemand rangelassen.
Im klassischen Sinn kann Matt Groening nicht gut zeichnen.
Alexander Braun
„Die großen runden Augen und der Überbiss – sie kamen mir lange Zeit sehr primitiv vor“, hat Groening mal selbstkritisch bezüglich der Simpsons über seinen eigenen Zeichenstil gesagt. Wieweit hat dieses beschränkte handwerkliche Können zum Erfolg der Simpsons beigetragen? Wie stark hat Groening persönlich die Serie geprägt und wieweit tut er dies bis heute?
Im klassischen Sinn kann Groening nicht gut zeichnen. Er hat vielmehr seine künstlerische Limitiertheit zum Stil erklärt und das dann mit subversivem Inhalt gefüllt. In Sachen „Simpsons“ müssen wir uns Matt Groening eher wie Walt Disney vorstellen. Er ist die kreative Drehscheibe, wo alles zusammenläuft. Er ist überall dabei, bringt sich überall ein, ist aber weder der eigentliche Drehbuchautor, noch der Zeichner, noch der Regisseur. Dafür gibt es Leute, die das besser können. Groening ist gut im Fördern von Menschen und ihren Talenten im Dienst der „Simpsons“. Groening sorgt dafür, dass die „Simpsons“ von ihrem Wesen her „krakelig“ bleiben. Sobald etwas droht, zu angepasst oder stromlinienförmig zu werden, stemmt er sich dagegen. Nur kein Mainstream.
Die Simpsons, wie wir sie bis heute mit regelmäßigen neuen Folgen im Fernsehen sehen können, sind also das Ergebnis eines komplexen Teamworks, an dem zahllose Menschen beteiligt sind…
Unglaublich viele Menschen. Davon macht man sich keine Vorstellungen. Abgesehen von bis zu 20 Drehbuchautoren, die für eine Staffel schreiben, gibt es noch viel mehr leitende Animations-Zeichner, Regisseure und Producer. Und wenn früher dann, vor der Digitalisierung, die Grobentwürfe der Animation von Kalifornien nach Südkorea gingen, saßen dort Frauen und Männer, die pro Folge circa 24.000 Folien von Hand zu malen hatten: für 20 Minuten Film! Das ist nicht nur ein unglaublich arbeitsintensiver Prozess, sondern erfordert auch eine geradezu mathematische Planung auf die Millisekunde genau. So etwas wollen wir zum Beispiel in der Ausstellung anhand von Originalen zeigen. Zeichentrick ist auf ganz vielen Ebenen hohe Kunst. Das verdient Respekt.
Groening hat nach beziehungsweise parallel zu den Simpsons auch die Erfolgsserien „Futurama“ und „Disenchantment“ geschaffen, die visuell und vom Humor her gewisse Parallelen zu den Simpsons aufweisen. Wieweit funktionieren sie nach einem ähnlichen Rezept?
Vergleichbar ist, dass Groening ein Medium wählt und es dann in der ihm eigenen Art satirisch auf links dreht. Bei den „Simpsons“ ist es die klassische Familien-Sitcom, bei „Futurama“ ist es Science-Fiction und bei „Disenchantment“ das Fantasy-Genre gewesen. Das Publikum mochte Groening dabei allerdings am liebsten bei den „Simpsons“ folgen.
Ist der Simpsons-Kosmos überhaupt noch zu überschauen – und wieviel Groening kann überhaupt noch in so einem Millionen-Dollar-Business stecken?
Vermutlich ist die Zahl des Merchandise nur mit der Mickey Mouse vergleichbar. In seiner globalen Dimension tatsächlich uferlos und nicht mehr zu überschauen. Und: Geld und Kreativität haben in der Regel ein schwieriges Verhältnis. Abgesehen davon, dass die Simpsons Matt Groening reich gemacht haben – sein Vermögen wird irgendwo zwischen 600 und 800 Millionen geschätzt –, sind schon seit langer Zeit viel zu viele Köche auf der administrativen Ebene am Brei. Die Motten umschwärmen das Licht. Nehmen wir nur die originalen Sprecher der Figuren. Die Simpsons zu zeichnen kann jeder halbwegs Begabte lernen. Dieses Personal ist austauschbar. Die Stimmen sind es dagegen nicht. Stimmen sind identitätsstiftend und können nicht beliebig gewechselt werden. Das macht die Verhandlungsposition der Sprecher ausgesprochen gut. Zwischenzeitlich bekamen Hauptsprecher Dan Castellaneta, der Homer synchronisiert, oder Nancy Cartwright, die Bart spricht, je 400.000 Dollar pro Folge! Eine Staffel besteht aus circa 25 Folgen, ergo 10 Millionen Dollar Honorar für circa einen Monat Arbeit im Jahr. Unfassbar. Aber nicht Ausdruck von Gier, sondern Ausdruck davon, wieviel Geld insgesamt mit Hilfe der Simpsons in Bewegung gesetzt wird. Womit wir wieder beim Anfang wären: In Ausdauer, Umfang und Kapitalströmen das größte Medienphänomen aller Zeiten.
Was wünschen Sie Matt Groening zum Geburtstag?
Angesichts von sieben kleinen Kindern daheim: Gesundheit und gute Nerven. Mit den „Simpsons“ hat er alles erreicht, jetzt muss er vor allem den Nachwuchs aufs College kriegen.