Zurück ins Campo Bahia

Möglicherweise wird Marc-André ter Stegen hierzulande immer noch ein wenig unterschätzt. Die deutsche Öffentlichkeit kennt den Torhüter des FC Barcelona vor allem als ernsten, ein wenig in sich gekehrten jungen Mann. Dabei verfügt er offenbar über ein Faible für feine Ironie.

Ziemlich genau drei Jahre ist es her, dass ter Stegen auf seinem Twitterkanal ein Foto von sich postete, das er lediglich mit ein paar Emojis versah. Weitere Kommentare brauchte es auch nicht: Das Foto sprach für sich. Es zeigte den Torhüter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft in Russland mit freiem Oberkörper beim Sonnenbaden: auf blankem Asphalt und vor einem mehrstöckigen Gebäude mit der Anmutung eines Parkhauses.

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Nie ist die Tristesse im Quartier der Nationalmannschaft bei der WM 2018 so pointiert, so subtil und doch so treffend auf den Punkt gebracht worden wie in ter Stegens Tweet. Entspannen in Watutinki. Oder auch: Schön sieht anders aus. Und so ist Watutinki, der Ort, in dem die Deutschen untergebracht waren, zur Chiffre für ein durch und durch verkorkstes Turnier geworden.

Solche deprimierenden Fotos wird es während der Europameisterschaft in diesem Sommer nicht geben. Zum einen, weil ter Stegen wegen einer Knieoperation gar nicht zum deutschen EM-Aufgebot gehört; zum anderen weil sich die Nationalmannschaft nach dem Ausflug an den Rand der russischen Hauptstadt diesmal wieder für mehr Idylle entschieden hat. An diesem Dienstag bezieht sie ihr Quartier in Herzogenaurach, in einer Waldlandschaft auf dem Gelände ihres Ausrüsters Adidas.

Home Ground heißt das Quartier. Das hört sich, ebenso wie Herzogenaurach, zwar nicht unbedingt nach Bacardi-Urlaubsfeeling an; aber ein bisschen ist es so, als würde die deutsche Mannschaft ins Campo Bahia zurückkehren, in ihr legendäres WM-Quartier von 2014 auf der Insel Santo André an der brasilianischen Atlantikküste. Nur der Meerblick fehlt, aber der ist im Frankenland generell schwer zu finden.

Das Quartier war schon immer wichtig für den DFB

„Das Camp kann natürlich eine entscheidende Rolle spielen und hat für uns immer eine Bedeutung gehabt“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Das war schon 1954 so, als der „Geist von Spiez“ erheblich zum Wunder von Bern, dem Titelgewinn bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz, beigetragen haben soll.

Seitdem steht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Ruf, bei der Quartiersuche so penibel zu sein wie kein anderer Verband. Auch wenn er nicht immer so ein glückliches Händchen gehabt hat wie bei den WM-Titeln 1954, 1990 (Castello di Casiglio in Erba am Comer See) oder eben 2014. Bei der WM 1974 in der Bundesrepublik logierte die Mannschaft während der ersten Finalrunde in der Sportschule Malente. Und Sportschule hieß damals noch: Sportschule. „Malente war nicht so schlimm, wie es immer gemacht wurde“, sagt Berti Vogts. „Es war viel schlimmer.“

Für die am Freitag beginnende Europameisterschaft hat sich der DFB bewusst das Campo Bahia als Vorbild genommen. „Campo Bahia ist in etwa das Setup“, sagt Thomas Beheshti aus dem Team von Oliver Bierhoff. Statt Einzelzimmern wie in handelsüblichen Hotels gibt es wieder Vierer-WGs. Wer mit wem unter einem Dach schläft – das wird in den nächsten Tagen vermutlich wieder die Detektive von der Boulevardpresse in Atem halten. Die Unterkünfte sind nicht besonders groß, aber hochwertig ausgestattet, mit Holz und Glas und viel Liebe zum Detail. „Es sieht sehr chillig aus”, sagt Kapitän Manuel Neuer, der das Quartier vorab besichtigen durfte.

Turnierquartier mit Strandanschluss. 2014 hatten Joachim Löw und die Nationalmannschaft das Meer direkt vor der Tür. Das fehlt im…Foto: imago/HJS

Der Begriff Villen ist für die Unterkünfte so übertrieben, wie die Bezeichnung Container untertrieben wäre. Deshalb ist jetzt wertfrei von Units die Rede. Neben den 15 Wohneinheiten, die von den Spielern mehr oder weniger nur zum Schlafen genutzt werden sollen, gibt es drei große Funktionsgebäude, die sich um den sogenannten Marktplatz mit eigenem Swimmingpool gruppieren. „Die Abläufe, die Wege – all das ist top“, erklärt Bierhoff. „Wir wollen, dass sich alle immer begegnen, dass sie zusammenkommen und sich wohlfühlen. Das ist in Hotels, egal welcher Kategorie, nicht immer ganz so einfach.“

Vor sieben Jahren, bei der WM in Brasilien, ist das Campo praktisch erst mit dem Einzug der Nationalmannschaft fertig geworden. Anfangs hieß es, die Deutschen hätten sich eine Unterkunft eigens nach ihren Vorstellungen bauen lassen, was Oliver Bierhoff den Vorwurf des Größenwahns eingebracht hat.

„Wir wollten noch mal die Extrameile gehen“

In Herzogenaurach ist es ähnlich. Der Home Ground wird auch nach der EM noch von Adidas genutzt werden. Das Recht der ersten Nacht aber haben die Nationalspieler. Außerdem konnte der DFB seine Erfahrungen aus Brasilien und seine Vorstellungen für eine ideale Turnierunterkunft einbringen. „Das Quartier konnten wir in unserem Sinne designen und auf die Dinge achten, die uns wichtig sind”, sagt Bierhoff. „Das klare Ziel ist, dass wir immer zusammenkommen und nicht verschiedene Inseln entstehen.“

Nach den eher deprimierenden Erfahrungen in Russland „wollten wir noch mal die Extrameile gehen und was Besonderes machen“, erklärt der Manager der Nationalmannschaft. Weil die Deutschen ihre Vorrundenspiele in München bestreiten, standen auch Quartiere in der Münchner Innenstadt und im südlichen Umland zur Debatte. Dagegen haben vor allem logistische Überlegungen gesprochen. Der Flughafen Nürnberg ist nur 20 Autominuten entfernt, was vor allem mit Blick auf die K.-o.-Runde von Bedeutung sein könnte. Zu den Vorrundenspielen ins 200 Kilometer entfernte München reist die Mannschaft mit dem Bus. Praktisch ist das neue Quartier also auch noch.