Berliner Trüffel, Folge 39: Die nackten Liegenden am Schlesischen Tor
Mal prasselt Regen auf sie drauf, mal sind sie von herbstlichen Blättern umgeben, mal mit Schnee bedeckt. Und immer ziehen zahlreich Fußgänger und Fahrradfahrer an ihnen vorbei. Die beiden Liegenden an der Schlesischen Straße sind niemals allein. Und doch sind sie ganz für sich, versunken in ihre eigene Welt, da unten auf dem Fußboden, schlafend, mitten im tosenden Kreuzberger Verkehr. Die Frau auf der Seite liegend, den Kopf aufgestützt, der Körper wölbt sich wie ein Relief, der Mann in Rückenlage, ganz flach, den Kopf auf ein Kissen gebettet, die Augen geschlossen.
„Dove Vai“ hat der Künstler Andreas Wegner diese in einen Grünstreifen zwischen Gehweg und Straße eingebettete Plastik genannt. Wohin gehst du? Eine Frage, die sich an die vorbeihastenden Passanten richtet, auf den Augenblick bezogen. Wohin gehst du jetzt? Eine Frage, die aber auch grundsätzlicherer Natur ist. Wohin führt uns das Leben? Haben wir es noch auf dem Schirm, dass der Tod kommt, irgendwann? Bezeichnenderweise liegen die beiden Bronzefiguren nicht direkt zusammen, Gehwegplatten führen zwischen ihnen hindurch. Wir sind alle im Dazwischen.
Teil des Skulpturenweges „Menschenlandschaft Berlin“
Diese ungewöhnliche, nach Jahrzehnten immer noch großartige Kunst im öffentlichen Raum ist Teil eines siebenteiligen Skulpturenweges, auch „Menschenlandschaft Berlin“ genannt, der sich zwischen Schlesischem Tor und May-Ayim-Ufer erstreckt und der 1987 anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins angelegt worden ist; genauso wie der Skulpturenboulevard am Ku’damm.
Die Arbeiten in Kreuzberg sollen damals das Ergebnis eines Bildhauer-Symposiums gewesen sein. Gibt es so etwas eigentlich noch? Man stellt es sich ungefähr so vor: Bildhauer treffen sich und beraten gemeinsam, hitzig die aktuellen politischen Verhältnisse diskutierend, was man auf die Straße stellen soll, was die Menschen als Ermunterung, Ansporn, Inspiration brauchen könnten? Falls nicht, sollte man es wieder einführen.