Serien-Phänomen „Sex Education“: Die Sexualität jedes Menschen ist einzigartig

Bei manchen Serien ist es gut, dass sie enden. Und zwar nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil sie so gut sind, dass sie nicht endlos ausgeschlachtet werden sollten, bis es belanglos wird. „Sex Education“ gehört zweifellos dazu.

Mit der vierten und letzten Staffel, deren acht Folgen seit Donnerstag auf Netflix verfügbar sind, geht wahrlich eine kleine Ära zu Ende. Die Serie hat eine ganze Generation von Serienfans mindestens so geprägt wie „Euphoria“ – wenn auch aus anderen Gründen. Der Titel bezieht sich auf den anfangs noch verklemmten Otis (Asa Butterfield), der seine Schulkamerad:innen aufklärt (seine Mutter arbeitet als Sex-Therapeutin), aber auch gemeinsam mit ihnen lernt – und so auch das Publikum.

Gleich in der ersten Staffel lernt man zum Beispiel, was Vaginismus ist. Die Serie zeigt, was consent beim Sex bedeutet und begleitet den Bully Adam (Connor Swindells) in seiner sexuellen Verwirrung, als er merkt, dass er schwul ist. Die Serie hat geschafft, was im Sexualkundeunterricht in der Schule oft nicht gelingt, weil das Reden über Sex irgendwie peinlich ist (sogar den Lehrenden, nicht nur den Schüler:innen) – oder schlicht zu heteronormativ.

Denkwürdige Szenen

Einer dieser Momente, der in Erinnerung bleibt, ist zum Beispiel die sexuelle Belästigung der Schülerin Aimee (Aimee Lee Woods) im Bus. Was Frauen und Mädchen tagtäglich passiert, wird in aller Tiefe als das Trauma, das es ist, behandelt. Aimee begibt sich auf eine healing journey, die bis in die aktuelle Staffel andauert. So wie auch im echten Leben Traumata eben nur langsam heilen.

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Später sitzen alle Mädchen zusammen mit Aimee im Bus, damit sie es sich wieder das Busfahren traut. In einem Interview sagte die Schauspielerin Aimee Lou Wood, dass sie jedes Mal weinen muss, wenn sie über die Szene redet. Es sei mit das beste gewesen, das sie je getan habe.

Ich weine jedesmal, wenn ich über diese Szene rede. Es ist das Beste, was ich je getan habe.

Schauspielerin Aimee Lou Wood über die ihre Lieblingsszene

Oder die Folge, als sich Otis und seine love interest Maeve (Emma Mackey) treffen. Er denkt, es sei ein Date, sie fahren stattdessen aber zu einer Abtreibungsklinik, weil Maeve für den Eingriff eine Begleitperson braucht. Und wie Maeve und die anderen Patientinnen sich im Wartezimmer solidarisch beistehen.

Mit Jean Milburn (Gillian Anderson), der Mutter von Otis, hat „Sex Education“ außerdem eine inspirierende weibliche Figur aus der Generation der Eltern. Während für Schauspielerinnen um 50 eine Phase der Unsichtbarkeit einsetzt (und dann bald ein Sprung in die Großmutterrollen), ist Jean zwar eine Mutter, aber eine mit vielen Liebschaften – sowie einer Karriere. In der vierten Staffel verzweifelt die alleinerziehende Jean, die wieder anfangen will zu arbeiten, aber keinerlei Verständnis und Unterstützung erhält.

Konstantes Missverständnis der Eltern

„Sex Education“ schafft es immer wunderbar, komplizierte Familienverhältnisse darzustellen. Die Jugendlichen werden von den Erwachsenen missverstanden, aber man erkennt auch, womit die Eltern zu kämpfen hat. Der Schulleiter (Alistair Petrie), der das Leben seines Sohnes Adam und dessen Mitschülern zur Hölle macht, beginnt, an sich selbst zu arbeiten, nachdem ihn seine Frau verlässt. „Sex Education“ streift nicht nur Themen, die die Generation Z betreffen, sie ist auch eine Nachhilfestunde für Boomer.

Mr. Groff (Alistair Petrie) versucht, ein engeres Verhältnis zu seinem Sohn Adam (Connor Swindells) aufzubauen.
Mr. Groff (Alistair Petrie) versucht, ein engeres Verhältnis zu seinem Sohn Adam (Connor Swindells) aufzubauen.
© Samuel Taylor/Netflix © 2023

Und Eric (Ncuti Gatwa), der beste Freund von Otis und die Lieblingsfigur unter „Sex Education“-Fans, hat sein Coming-out in seiner Familie, die sich dann als offener herausstellt als zunächst angenommen. In der letzten Staffel steht er vor dem Problem, dass seine Kirchengemeinde homophob ist, sein Glaube ihm jedoch viel bedeutet.

„Sex Education“ hat es mit viel Feingefühl geschafft, Diversity so umzusetzen, wie es wirklich sein sollte, und dabei kein Tokenism betrieben, sondern die Backgrounds jeder Figur in die Geschichten eingewoben. Man könnte nun einwerfen, dass ein Jahrgang aus Schüler:innen mit so vielen verschiedenen sexuellen Identitäten unrealistisch ist.

Aber „Sex Education“ betreibt – anders als etwa das „Sex in the City“-Spin-off „And Just Like That“ – keine Repräsentation um der Repräsentation willen. Ja, es gibt viele schwule, lesbische, bisexuelle, asexuelle, nichtbinäre und trans Schüler:innen an der Moordale-Schule. Aber „Sex Education“ lehrt uns eben auch, dass die Sexualität eines jeden Menschen einzigartig ist.

Es geht immer noch queerer, als man denkt

Und wenn man gerade denkt, „Sex Education“ könnte nicht noch queerer sein, dann kommen neue Figuren wie Abbi (Anthony Lexa) und Roman (Felix Mufti) ins Spiel: ein Pärchen aus einer trans Frau und einer transmaskulinen Figur. Die letzte Staffel nimmt sich viel Zeit, von „Queer Joy“ zu erzählen, funkelnde Partys und liebevolle Wahlfamilien ausführlich zu zeigen.

Und es macht Spaß zu sehen, welche Wege die Darsteller:innen einschlagen, wie sie über „Sex Education“ hinauswachsen und doch in gewissem Sinne ähnliche Projekte verfolgen. Ncuti Gatwa und Emma Mackey waren im „Barbie“-Film von Greta Gerwig zu sehen, der nicht zuletzt für seine Inklusivität gefeiert wurde. Und Gillian Anderson brachte kürzliche einen Softdrink namens G-Spot heraus, was ja auch für die Figur Jean Milburn total on brand ist. (Und in der Serie ein toller Titel für ihre Radioshow gewesen wäre.)

Das Ende von „Sex Education“ lässt eine Lücke zurück, die andere Serien nun füllen müssen. Kein Grund, dem Ende nachzutrauern. Spannend dürfte vielmehr werden, was noch alles auf „Sex Education“ folgen wird.