Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 37): Mach mal Musik für alle

Beim Festival auf Schloss Rheinsberg traf ich neulich Carola Höhn: Die Sopranistin, die über Jahrzehnte zum Ensemble der Berliner Staatsoper gehörte und seit 2016 als Professorin an der Universität der Künste unterrichtet, war zur Operngala gekommen, weil eine ihrer Studentinnen mitsang. „Das ist ja ein echtes Estraden-Programm!“, lautete ihr Kommentar zur Programmzusammenstellung.

Was für ein schönes, altmodisches Wort für einen Arien-Abend. Viel freundlicher als „Klassik-Potpourri“, viel eleganter als „ein Strauß immergrüner Melodien“. Und außerdem polyglott: Es ist über fünf Ecken ins Deutsche gekommen.

Um fünf Ecken ins Deutsche gekommen

Genaugenommen vor allem ins Ostdeutsche, in den 1960er Jahren, als Lehnwort aus dem Sprachschatz des großen Brudervolkes. Das russische „Estrada“ leitet sich vom französischen „Estrade“ ab, das im 17. Jahrhundert wiederum aus dem Spanischen „Estrado“ entstanden ist. Und das hat, natürlich, einen lateinischen Ursprung.

Gemeint ist in allen Fällen eine Erhöhung im Fußboden, also eine Bühne. Auf der Musik gemacht wird, und zwar populäre. Da geht es nicht um kollektive kunstreligiöse Konzentration im Konzert, da darf, im Gegenteil, gerne Volksfeststimmung aufkommen.

Ein prototypisches Estradenprogramm wird am 26. August im Britzer Garten geboten, wenn die Anhaltische Philharmonie Dessau Walzer, Märsche und Polkas von Antonin Dvorak bis Franz Léhar spielt. Während man für das Britzer „Feuerblumen“-Event Tickets erwerben muss, bietet das vom Senat finanzierte „Kultur Sommer Festival“ der „Draußenstadt“ zwei kostenlose Estraden-Konzerte.

Am 14. August ab 18 Uhr schippern das Babylon Orchester sowie die ubiquitäre Hornistin Sarah Willis von den Berliner Philharmonikern mit ihrer „Sarahbanda“ auf Flößen von der East Side Gallery zum Funkhaus an der Nalepastraße und machen dabei „Wassermusik“. Allerdings nicht die barocke von Händel, sondern heutige, aus „mediterranen, nahöstlichen und kubanisch geprägten Klangwelten“. Und am 24. August tritt dann, ebenfalls umsonst und open air, das Ukrainian Freedom Orchestra auf der Kastellanswiese im Schlossgarten Hohenschönhausen auf, unter der Leitung der Dirigentin Keri-Lynn Wilson, mit Werken von Beethoven, Verdi sowie den ukrainischen Komponisten Yevhen Stankovych sowie Myroslaw Skoryk.