Rundfunkchor Berlin: Von wegen Dolce Vita
Italien – ein Land des süßen Nichtstuns? Den ganzen Tag über am Strand liegen, Gelati schlecken und sich ins azurblaue Meer stürzen? Schön wär’s. Unter dem Motto „Bella Italia – La dolce vita?“ will der Rundfunkchor Berlin im Neuköllner Heimathafen Klischees entzaubern, die sich in den Köpfen vieler Deutscher festgesetzt haben.
Zwischen italienischen Vokalwerken von der Renaissance bis zur Gegenwart kommen in dem von Boussa Thiam moderierten Gesprächskonzert zwei Gäste zu Wort: der Mafia-Experte Sandro Mattioli und die Migrationsforscherin Edith Pichler von der Universität Potsdam. Komplexe Themen wie das organisierte Verbrechen oder die Bootsmigranten im Mittelmeer lassen sich in wenigen Minuten allerdings nicht erschöpfend diskutieren.
Musik von der Renaissance bis zur Moderne
Der breit gefächerte musikalische Teil – mit Werken von Orlando di Lasso bis Luciano Berio – bietet größtere Überraschungsmomente. Mit seinem Chef Gijs Leenaars und dem Dirigenten Justus Barleben ist der ausgezeichnet disponierte Chor in unterschiedlichen Formationen zu erleben.
Auf der Empore des ehemaligen Ballsaals erklingt etwa das prächtige „Magnificat primo“ aus einer Psalmensammlung der Benediktiner-Nonne Chiara Margarita Cozzolani, die im 17. Jahrhundert in Mailand lebte. Flankiert von drei Männerstimmen singt die Mezzosopranistin Josette Micheler in Claudio Monteverdis „Lamento della Ninfa“ anrührend vom Liebesleid einer jungen Nymphe.
Mit mikrotonalen Strukturen arbeitet dagegen Giacinto Scelsi in seinen 1958 entstandenen „Tre canti sacri“. In diesen religiösen Gesängen spiegelt sich auch der Glaube des Komponisten an eine Reinkarnation. Begleitet von dem Pianisten Philip Mayers beeindruckt die Sopranistin Misaki Yoshida mit „Vier Volksliedern“, die Luciano Berio nach dem Zweiten Weltkrieg auf Texte aus dem 13. Jahrhundert komponierte.
Ein ganz anderes Genre vertrat das niederländisch-ungarische Vokaltrio Lescano, eine der ersten „Girl Groups“ Europas. In den 1930- und frühen 1940-Jahren genossen die drei Schwestern in Italien Starruhm, trotz ihrer jüdischen Herkunft wurden sie vom Mussolini-Regime protegiert. Swing-Rhythmen kombinierten sie mit leicht verdaulichen Texten, etwa über einen verliebten Pinguin. Der gelungene Abend endet mit einer reinen Chorversion von „Nessun dorma“, der berühmten Arie des Prinzen Calaf aus Giacomo Puccinis Oper „Turandot“.