Die Ressource Solidarität: Wegschauen, hinschauen

Ein leeres Blatt Papier, wie Demonstrierende es in China der Polizei entgegenhalten. Die Hand auf dem Mund in Katar, der Drei-Finger-Gruß in Myanmar, die geballte Faust, das gute alte Victory-Zeichen. Manchmal sind es Accessoires: der Hidschab, den die Frauen im Iran schwenken, die Gelbweste in Frankreich, die Regenschirme in Hongkong – der menschliche Erfindungsreichtum ist groß, wenn Proteste Symbole brauchen. Symbole, die oft auch in unseren Solidaritätsbekundungen auftauchen.

Solidarität ist allerdings eine begrenzte Ressource, unsere Aufmerksamkeitsökonomie folgt dem Rhythmus der schnelllebigen Medienwelt. Ukraine, Iran, China, vielleicht noch Taiwan, das nicht das nächste Hongkong werden darf: Dorthin schauen wir in diesen Tagen.

Die Tragödie von Afghanistan rutscht aus dem Blick, die Mittelmeer-Bootsflüchtlinge sind höchstens noch eine Kurznachricht, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wir können nicht überall gleichzeitig hinschauen, wir brauchen den Fokus, also vergessen und verdrängen wir, wenden uns neuen News zu. Brutal? Unterlassene Hilfeleistung? Ja, aber es ist kein Grund für Zynismus, Ignoranz oder Resignation.  Der Appell zu mehr Nachhaltigkeit gilt auch bei den Menschenrechten. Lieber chronische Überforderung, im ehrlichen Wissen um die eigenen Versäumnisse, als wohlfeile Zerstreuung.

Zum Beispiel Hongkong. Das 2020 erlassene Nationale Sicherheitsgesetz hat nicht nur die Demokratiebewegung abgewürgt, sondern auch den Künsten ihre Freiheit geraubt. Seit August 2021, so war es gerade wieder im „Amnesty“-Journal nachzulesen, verbietet ein Zensurgesetz alles, was vermeintlich „als Aufruf zur Spaltung, zum Umsturz, zum Terrorismus“ verstanden werden kann. Damit sind zum Beispiel alle Filme, die die Demokratiebewegung auch nur indirekt thematisieren, verboten, überhaupt muss jeder Film genehmigt werden bevor er gezeigt wird. Wer nicht emigriert ist, dreht jetzt unpolitische Actionstreifen oder Historienfilme für Festland-China. Hongkongs einst blühende Filmindustrie ist Geschichte.

Am Samstag wurde gemeldet, dass der prominente Peking-Kritiker und Medienunternehmer Jimmy Lai nach bereits zweijähriger Haft zu einer erneuten Gefängnisstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Er hatte die Demokratiebewegung unter anderem mit seiner (inzwischen aufgelösten) Zeitung „Apple Daily“ unterstützt. Auch sein Kollege Wong Wai Keung muss hinter Gitter.

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