Komischer Kaiser
1918: Der Erste Weltkrieg ist verloren, das Deutsche Kaiserreich ist am Ende. Das Schicksal des russische Zaren und seiner Familie, die im Juli des gleichen Jahres von bolschewistischen Revolutionären ermordet wurden, teilte Kaiser Wilhelm II. nicht, doch was geschah mit ihm nach seiner Abdankung?
In seiner kürzlich erschienen Graphic Novel „Der Kaiser im Exil“ (Edition Moderne, 160 S., 32 €) nimmt sich der Schweizer Comicautor und -zeichner Jan Bachmann erneut einer historischen Figur an. Dafür verlässt er die bisherigen Kreise der Anarchisten und Aussteiger um die Jahrhundertwende und wagt sich ein Stück weiter in Richtung Gegenwart.
Die Rahmenhandlung von „Der Kaiser im Exil“ ist schnell erzählt. Als Wilhelm II. 1918 seine Abdankung unterzeichnete, befand er sich bereits im niederländischen Exil. Um möglichen Anschlägen im Zuge der Novemberrevolution zu entgehen, waren er und seine Frau dorthin geflohen und waren zwei Jahre auf Schloss Amerongen zu Gast, bevor sie in ihre letzte Residenz, das niederländische Haus Doorn umsiedelten.
Doch wie ging der ehemalige Kaiser mit der Schmach der verlorenen Herrschaft um? Wie war sein Leben im Exil und wie erging es seinen Gastgebern mit ihm?
Wie in den Vorgängerbänden „Mühsam, Anarchist in Anführungsstrichen“ (Edition Moderne, 2018) und „Der Berg der nackten Wahrheiten“(Edition Moderne, 2019“) begibt Bachmann sich mit viel Rechercheaufwand auf Spurensuche: Tagebücher und Berichte aus Wilhelms unmittelbarem Umfeld bilden den informativen Teil der Graphic Novel.
Der Kaiser ist launisch und braucht viel Aufmerksamkeit
Ganze Passagen dieser Quellen gibt er in den Textboxen der collagenhaft und teils wie wilde Skizzen angeordneten Panels wieder. Alles andere ist mehr oder weniger frei erfunden: Die Dialoge, die Szenen und einzelne Settings. In diesem Widerspruch entwickeln die Protagonist:innen ein schräges, fast anarchisches Eigenleben.
Die verschiedenen Erzähler:innen bleiben trotz ihrer Nähe zum ehemaligen Monarchen auf Distanz und belassen es bei einer teils ehrfurchtsvollen Beobachtung und belanglosen Details. In sperriger Humboldt-Fraktur geschrieben, geraten deren sorgfältige Berichte vor den unruhigen Zeichnungen mit starken Farben und Hell-Dunkel-Kontrasten in den Hintergrund. Der Fokus liegt klar auf den Bildern.
Darin holt Bachmann den abgedankten Kaiser vom historischen Sockel. Er dichtet ihm jede Menge menschliche Verfehlungen und Unsicherheiten an, attestiert ihm Launenhaftigkeit und hohen Bedarf an Aufmerksamkeit.
Zerstreuung suchte Wilhelm in der stückweisen Abholzung des gräflichen Waldes. Bachmann zeichnet den Ex-Kaiser nach so einem „Arbeitseinsatz“ auf einem Sessel sitzend und sich darüber beschwerend, dass kein Dienstbote da sei, der ihm die Stiefel ausziehe – immerhin habe er 80 Bäume gefällt.
In der Textbox dagegen berichtet die Tochter des Gastgebers: „Wenn er ins Haus kommt, erzählt er jedem: ’Ich habe heute früh 60 oder 80 Bäume gefällt’, auch wenn die Hälfte ohne sein Zutun bewältigt wurde.“ Und die Bilder? Die zeigen dazu gerodete, öde Flächen.
Karikaturen ihrer selbst
Wirkliche Nähe zu seiner Hauptfigur, wie etwa bei Erich Mühsam, erreicht Bachmann dennoch nicht. Dafür hätte es wohl persönlicher Aufzeichnungen von Wilhelm selbst bedurft. Bachmann bleibt, wie seine Quellen, außen vor, beobachtet. Darin ähnelt er den Bäumen, denen er – historisch sicher unkorrekt – Gesichter gezeichnet hat. Als stumme Zeugen der Geschichte starren sie mit langen Nasen ins Setting.
Bachmanns Figuren sind krakelig, schwurbelig und sperrig. Wesentliche Erkennungsmerkmale sind ihre prägnanten Nasen und Wangenpartien, die einem Baukasten mit geometrischen Formen entnommen zu sein scheinen. Das Gesicht von Wilhelm besteht im Wesentlichen aus einer langen, schmalen Nase und dem in gleicher Linie fortlaufenden langen Kinnbart, unterbrochen von einem quer gelegten, überlangen Schnäuzer. Sein Körper ist eckig, die Arme schlangenhaft und überlang.
Mit ihren grotesken und cartoonhaften Posen wirken die Protagonist:innen wie Karikaturen ihrer selbst – als würde Bachmann zeigen, wie sie sich selbst in ihrer Umwelt wahrnehmen: deplatziert, stets etwas lächerlich und den widrigen Umständen ausgeliefert.
Wenn Wilhelm vornübergebeugt mit hinter dem Rücken verschränkten Händen spazieren geht, erinnert er fast an Donald Duck. Nicht ohne Grund: Dem Tagesspiegel erzählt Bachmann, dass der Antiheld aus Entenhausen zu seinen liebsten Comicfiguren gehört.
„Kriegsherr Hosenvoll“
In bildlichen Gegenüberstellungen der oberflächlichen kaiserlichen Perspektive auf das Land und seine Bewohner:innen zeigt Bachmann deren tatsächlichen desolaten Zustand als Folge des Krieges – ähnlich der bekannten „Simplicissimus“-Karikatur von Thomas Theodor Heine, „Wir weinen ihm keine Träne nach, er hat uns keine zu weinen übrig gelassen“ (1918).
Für seine Flucht erhielt Wilhelm II. keine Unterstützung vom Volk. Man warf ihm Fahnenflucht vor, nannte ihn „Kriegsherr Hosenvoll“. Während in Europa Hunger, verkrüppelte Kriegsheimkehrer und Armut das Alltagsbild bestimmten und dem bald aufkeimenden Faschismus den Nährboden bereiteten, brachte der Kaiser sich in Sicherheit – und später auch große Teile seiner Besitztümer.
Bis heute führen gesellschaftliche und politische Debatten zurück zu Wilhelm II. Sei es in der 2019 aufgeflammten Diskussion um die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern, in Diskussionen um die Aufarbeitung des europäischen Kolonialismus oder in den Kaiserlichen Reichskriegsflaggen als Zeichen rechter Gesinnung, die 2020 auf Demonstrationen gegen die Corona-Politik zu sehen waren.
Das Komische in „Der Kaiser im Exil“ bleibt dennoch tragend. Jan Bachmann spielt – dabei aber keineswegs leichtfertig – mit Fakten, Bildern und imaginierten Dialogen und setzt sie mit Ironie und viel Slapstick-Humor neu zusammen. Seine Werke macht das ebenso informativ wie unterhaltsam. Besonders erfreulich: Der Stoff an bemerkenswerten Persönlichkeiten und Ereignissen dürfte ihm nicht so schnell ausgehen.