US-Krimipionierin Valerie Wilson Wesley: Hüte dich, wenn du die falsche Hautfarbe hast
Wenn im besten Schickeria-Restaurant von Newark, der Hauptstadt des US-Bundesstaates New Jersey, ein Wohltätigkeitsdinner stattfindet, ist eines sicher: Mit lukullischem Luxus wird nicht gegeizt. Die Einnahmen wandern in die Wahlkampfkasse einer Staatsanwältin, die fürs Staatsparlament kandidiert.
Wein und Champagner fließen in Strömen, doch in dem Moment, als der Investmentbanker, der den Empfang veranstaltet, seine Lobrede beendet hat, „umkrallte er seine Kehle und zerrte sich am eigenen Fleisch, als wolle er etwas aus sich herausreißen.“ Sein Gesicht schwillt an, der Mann kippt um und ist tot. Was die Party abrupt beendet.
Lincoln Storey, so heißt der Makler, der bei jedem Deal in der Stadt seine Hände mit im Spiel gehabt haben soll, ist ermordet worden. Er hatte eine schwere Erdnuss-Allergie, und der Täter muss Spuren davon in seinen Bohnendip gerührt haben. Ach ja, nahezu alle Personen, die sich zur Gala versammelt hatten, waren Afroamerikaner:innen. Ein Gast wunderte sich, dass es in New Jersey „so viele reiche schwarze Herrschaften gibt“.
So die Ausgangslage von Valerie Wilson Wesleys Thriller „Der Exlover“. Ein Raum voller Menschen, von denen viele einen Grund gehabt hätten, den Patriarchen zu ermorden. Aber die Polizei verhaftet eilig Storeys abservierte Geliebte Tasha, die das Catering geliefert und ihn als „schmieriges Schwein“ beschimpft hatte.
Die junge Frau wirkt wie das perfekte Justizopfer. Wäre nicht auch Tamara Hayle im Bankettsaal gewesen, undercover gewissermaßen, denn Storey hatte sie engagiert, um den Aufschneider Brandon Pike zu beschatten, der seiner Stieftochter erfolgreich nachstellte. Pikanterweise war Hayle vor Jahren selbst mit diesem „Hurenbock“ zusammen, daher der Romantitel.
Tamara Hayle gilt als erste schwarze Privatdetektivin der Kriminalliteraturgeschichte. 1994 schickte Valerie Wilson Wesley sie in ihren ersten Einsatz. Die Außenseiterrolle ist Tamaras Stärke. Für eine schwarze Frau sei es ein Kinderspiel, jemanden zu observieren, heißt es einmal, sie werde „einfach übersehen und gar nicht wahrgenommen“. Die alleinerziehende Mutter war selbst einmal Polizistin und musste auf ihrem Revier rassistische Witze ertragen.
Gekündigt hat sie, nachdem ihr damals neunjähriger Sohn Jamal mit seinem Halbbruder und Freunden in eine Polizeikontrolle geraten war. Ein neues Auto voll schwarzer junger Männer, nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs in einer runtergekommenen Gegend – „das konnte nicht gutgehen“. Sie fuhren zu schnell, wurden aber wie Schwerverbrecher behandelt. Die weißen Uniformierten beschimpften die Jugendlichen mit herabwürdigenden Vokabeln und schlugen den Fahrer zusammen. Für Jamal war es „die Initiation als Schwarzer und als Mann“.
Sei auf der Hut, wenn du die falsche Hautfarbe hast, lautete die Lehre. Die sieben Tamara-Hayle-Krimis, die Valerie Wilson Wesley zwischen 1994 und 2004 veröffentlichte, fanden keine große Beachtung, als sie erstmals auf Deutsch erschienen. Nun bringt der Diogenes Verlag sie peu à peu erneut heraus, genau zur richtigen Zeit.
Denn sie zeigen, wie sehr Polizeigewalt und die Praxis des Racial Profiling schon seit Jahrzehnten zum Alltag von Afroamerikaner:innen gehören. Der Tod von George Floyd, dem ein Polizeibeamter 2020 in Minneapolis bei einer Festnahme buchstäblich die Luft zum Atmen nahm, hatte viele Vorläufer. Nur dass bei ihm das Video eines Augenzeugen für einen weltweiten Aufschrei sorgte.
Tamara Hayle ist tough, immer knapp bei Kasse und stets auf der Suche nach Aufträgen, selbst wenn sie wie beim „Exlover“ tief in die eigene Vergangenheit führen. Ihr Honorarsatz: 50 bis 75 Dollar die Stunde. Ungeduldig wartet sie auf den nächsten per Post zugestellten Barscheck, und sei es, um dem inzwischen 14-jährigen Jamal neue Basketballschuhe kaufen zu können.
„Sisters aller Art“ helfen bei Recherchen
Seit den Tagen von Philip Marlowe residieren amerikanische Privatdetektive in runtergekommenen Bürogebäuden. Bei Hayle ist es ein Einzimmerkabuff mit Aloepflanze, ein Stockwerk über dem Schönheitssalon Jan‘s Beauty Biscuit, der auf schnelle Entkrausungen und lange Fingernägel spezialisiert ist.
Dort verkehren „Sisters aller Art“, die Tamara mit dem neuesten Klatsch aus der Community versorgen und oft sachdienliche Hinweise liefern. Zu den Running Gags der Krimireihe gehört, dass die Ermittlerin einen alten VW Jetta fährt, bei dem nacheinander alle elektronischen Teile ausfallen. Dabei hört sie Toni Braxton oder Cassandra Wilson, Souljazz der Jahrtausendwende. Und wenn sie nach einer Verfolgungsjagd von einem anderen Wagen gerammt wird, saß am Ende doch nicht der Mörder am Steuer.
Newark hat sie geradezu kartografiert
Valerie Wilson Wesley, Jahrgang 1947, lässt genüsslich Luft aus den aufgepumpten Superegos männlicher Gockel. Ihr ironisch gebrochener Hardboiled-Stil erinnert an die gleichaltrige Sara Paretzky, eine Pionierin des feministischen Thrillers. Sie selbst beruft sich auf den afroamerikanischen Kollegen Walter Mosley, dessen Detektivromane wie „Teufel in Blau“ von Hollywood verfilmt wurden. Paretzky beschreibt so akkurat das topografische und soziale Gefüge von Chicago, dass sich der Philosoph Jürgen Habermas mit ihren Büchern auf eine Gastprofessur dort vorbereitete.
Ähnliches lässt sich von Wilson Wesley sagen, die mit ihren Krimis Newark geradezu kartografiert hat, die Stadt gegenüber von New York am anderen Ufer des Hudson. Newark sei „eine alte Kämpfernatur, die sich einfach nicht unterkriegen lässt“. Sie verspottet die Luxuswohnungen am University Haven als „Edel-Kaninchenställe“. Widmet der verschwundenen Reihenhaussiedlung in der Howard Street, in der Tamaras Vater aufwuchs, einen Nachruf. Und immer wieder kehren die Erinnerungen an die gewalttätigen Unruhen von 1967 zurück, bei denen 26 Menschen starben, nachdem ein schwarzer Taxifahrer verhaftet worden war.
Wie ertränkt man einen erwachsenen Mann in einer Badewanne? Man packt ihn am Fußgelenk, bis der Kopf unter Wasser ist, hält fest, und weil die Beckenränder zu glitschig sind, um sich daran festzuhalten, wird er ertrinken. So stirbt der jugendliche Herumtreiber Terrence in „Ein Engel über deinem Grab“, dem Auftaktroman der Serie. Da er schwarz war und Drogen konsumierte, geht die Polizei vom Unfall eines Junkies aus.
Wieder mischt sich Privates in die Arbeit der Detektivin. Diesmal heuert ihr Ex-Ehemann DeWanye Curtis, ein unverbesserlicher Pascha, sie an. Tamara Hayle soll den Tod von Terrence aufklären, seinem Sohn aus einer anderen Beziehung. Nach und nach kommen weitere Halbbrüder von Jamal ums Leben. Die Polizei glaubt an keinen Serienmörder. Tamara holt ihren Revolver aus dem Minisafe, um ihren Sohn zu beschützen.
„Da ist eben ein Engel über dein Grab geschwebt“, sagte ihre Großmutter, wenn Tamara als Kind ein Frösteln überlief. Valerie Wilson Wesley Romane sich auch ein Requiem für alle „Sisters“ und „Brothers“, die keinen Schutzengel hatten.
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