Die fäkale Revolution
„Es geht um alles“, posaunt dieser Abend vollmundig in den Volksbühnenhimmel, „um Krieg und Frieden, Liebe und Tod, um alles, was uns verbindet.“ Das stimmt einerseits. Und gleichzeitig auch wieder nicht. Denn vor allem geht es – pardon – um Scheiße. Egal, wo man hinsieht.
Über einem mehrgeschossigen, metallenen Spielgerüst kringelt sich schwebend ein gigantischer Kackhaufen, Schauspieler Daniel Zillmann tritt auf mit einer Krone aus Kot und einem mit Würsten drapierten Kostüm, ein Kollege lässt die Hose runter, um herzhaft zu furzen. Immer wieder werden auch Toiletten auf die Bühne gefahren, aus denen es teils teuflisch dampft. Auf einer davon sitzt Lilith Stangenberg und schreit: „Was ist das eigentlich, der Tod?“ Na, hier ist was los!
Auf dem Spielplan steht „SMAK!“, Akronym für „SuperMacho AntiKristo“, die erste Berliner Theaterproduktion des philippinischen Guerillakünstlers Khavn de la Cruz. Der Mann soll schon mindestens zweihundert Kurz- und Langfilme gedreht haben (Quantität ist im Trashkosmos ja eine eigene Währung), er gilt als Pionier des Digitalkinos und hierzulande spätestens nicht mehr als Geheimtipp, seit Alexander Kluge mit ihm zusammen 2018 den Film „Happy Lamento“ realisiert hat. Khavn ist außerdem Musiker, Schriftsteller und Punkpoet – einer, der munter zwischen Underground und Ernstkunst navigiert und auf den Philippinen seine Darsteller:innen gern mal von der Straße weg castet.
Jetzt ist er im deutschen Subventionstheater angekommen. Der Zirkus ist in der Stadt! Khavns Anarcho-Crew trifft Volksbühnen-Angestellte sowie den Musiker Brezel Göring von Stereo Total, es werden hundert Akte einer überbordenden Dada-Oper performt, 25 Songs gesungen. Die handeln zum Beispiel davon, dass die Welt wahlweise ein Ort für Maden, ein Schweinekoben oder, na klar, eine Toilette sei. Nun hat das Ganze natürlich einen ernsten Hintergrund. Verlinkt werden nämlich zwei Ereignisse aus dem Jahr 1896: die Uraufführung von Alfred Jarrys Skandalstück „König Ubu“ in Paris. Und die Exekution des philippinischen Schriftstellers und Reformers José Rizal durch die spanische Kolonialregierung im Kontext revolutionärer Umbrüche.
Jonathan Meeses Bibliothek in den Mixer geworfen
Skandal, Revolution, Kolonialismus – das sind doch schon mal taugliche Relevanzanker. An denen kann man sich festhalten, während drei Stunden lang (ohne Pause) kleinwüchsige Schauspieler:innen Fechtkämpfe austragen, „Schlangendildos“ geschwungen werden oder eine Figur namens Pope Mustard Taufen mit Urin vornimmt. Apropos Figuren, beziehungsweise: Story des Abends. Ein eigener Beipackzettel erklärt den „SMAK!“-Kosmos. Der liest sich, als hätte Jonathan Meese seine Bibliothek in einen Mixer geworfen.
Da gibt es Ubulbulul, den Mobkönig, der „mehr Planeten und Universen verschlugen hat, als man zählen kann, was ihn die stinkigsten, feuchtesten Fürze produzieren lässt“. Oder Faustrollol, der „sein arkanes Wissen und seinen brillanten analytischen Verstand für pataphysische Wahrsagerei“ nutzt. Oder Caesar Hazard, der „regelmäßig Elektroschocks und Lobotomien benötigt, um seinen Penis hyperaktiv zu halten“.
[Alle aktuellen Nachrichten bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]
Lilith Stangenberg, die vor zwei Jahren in Khavns und Kluges Kinofilm „Orphea“ die Titelrolle spielte und auf deren Initiative das obsessive Ausscheidungs-Spektakel zurückgehen soll, verkörpert Sisa Jarry, „eine trauernde Verrückte“, deren Kinder Alf und Frida Jarry aufgefressen wurden.
(Die nächste Vorstellungen sind am 15.,16., 19., 20., 27. und 28. April. Am 18. April präsentiert Khavn das 13-stündige Filmkonzert „Simulacrum Tremendum“ mit zahlreichen Gästen. Beginn: 12 Uhr)
Zur Beruhigung: Auf der Bühne spielt sich das meiste davon nicht ab, die Handlung flimmert vornehmlich in Titeln über der Bühne vorbei. Alternativ sind dort Songtexte, Haiku-artige Wortpuzzle („nicht die ganze Wahrheit sagt die Spinne im Murmelnetz“) oder einfach Begriffe wie Hodensack, Süßkartoffeln und Fußschmerzen zu lesen. Das Programm verrät auch, dass der Stummfilm „Nitroglycerine in The Pomegranate“ zu sehen sei, offenbar in den 1920er Jahren von Narding Salome Exelsio nach José Rizals unvollendetem Roman „Makamisa“ realisiert. Andere literarische Inspirationen: Reden von Hitler und Putin, Texte von Jarry, Marquis de Sade, Guy Debord, philippinischen Revolutionären und – last but not least – Mutter-Gans-Kinderreime.
Der Abend ist mit Referenzen gemästet. Welche subversive Kraft Khavns Arbeiten in ihren bestimmt viel spannenderen philippinischen Kontexten auch entfalten mögen, am Rosa-Luxemburg-Platz ist davon nichts zu spüren. Der Abend implodiert schon mit dem ersten „Leck mich am Arsch“-Lied. Und kreist dann kraft- und ziellos um sich selbst – und Pipi-Kacka. Ganz wertfrei bleibt festzuhalten: So eine Scheiße gab es lange nicht zu sehen.