Feurige Blicke hinterm Cape
Bleicher Mann, schwarzes Cape, Holzkiste. Die Referenzen zu Beginn von „Morbius“, dem Spin-off des „Spider-Man-Universe“, sind deutlich. Man denkt sofort an F. W. Murnaus „Nosferatu“, in dem der schwarzgewandete Graf seine Lieblingserde im Sarg durch Wisborg schleppt. In der Kiste schläft er tagsüber den Schlaf des Ungerechten, um nachts seinen Blutdurst an Frauen zu stillen.
Bei dem Wissenschaftler Michael Morbius (Jared Leto), der an einer seltenen Blutkrankheit leidet, ist von vampirischem Blutdurst zunächst noch keine Rede. Der Biochemiker, dessen Disposition ihm eine isolierte Kindheit im Krankenhaus bescherte, hat sich zur Koryphäe hochgeforscht. Ihm zur Seite stehen die Kollegin Dr. Martine Bancroft (Adria Arjona), und sein an der gleichen Krankheit leidender Jugendfreund Milo (Matt Smith).
In klassischer origin story-Manier erzählt Regisseur Daniél Espinosa in seiner ersten Marvel-Adaption, nach einem Buch der Horrorexperten Matt Sazama und Burt Sharpless, zunächst die Freundschaft zweier Außenseiter. „Wir sind wie die Spartaner“, ist das Motto der kränklichen, einsamen Teenager in Anlehnung an den Kampf von 300 Spartanern gegen ein übermächtiges persisches Heer: „Wenige gegen viele.“
In unkonventionellen Experimenten mischt der erwachsene Morbius das eigene Blut mit dem einer Vampirfledermaus. Und erreicht – voilá – nach Jahren den Durchbruch: Die plötzliche Schmerzfreiheit und seine übermenschliche Stärke verwandeln den am Stock gehenden Morbius in einen (allerdings immer noch depressiven) Muskelmann. Dass die Therapie Nebenwirkungen birgt, wird schnell klar: Auf den Blutgenuss folgt der Blutdurst, der sich mit Kunstblut anfangs noch einigermaßen stillen lässt.
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Der innere Dämon im Blutsauger
Doch aus heiterem – beziehungsweise nächtlich-verhangenen – Himmel beschwört Morbius bald einen in seinem Inneren schlummernden Monstervampir herauf, der es auf Menschenblut abgesehen hat. Dieses skelettöse Horrorwesen ist allerdings nichts gegen den inneren Vampir von Milo. Morbius’ Kumpel hat sich ebenfalls Zugang zum angeblichen Heilmittel verschafft, nur erweist sich Milo als weniger charakterfest.
Aus dem Vampirmotiv noch etwas Neues – Verzeihung! – herauszusaugen, ist gar nicht so leicht. 1971 versuchten es die Marvel-Autoren Roy Thomas und Gil Kane und kreierten den Antihelden als Gegenspieler zum friendly neighbourhood Spider-Man. Espinosa mischt in seiner Adaption Symboliken aus verschiedenen Vampirlegenden, nennt den Tanker, auf den Morbius seinen Forschungen nachgeht, „Murnau“, und macht die problematische Beziehung zwischen den Jugendfreunden zum dramatischen Kern seiner Geschichte.
(Ab Donnerstag in den Kinos)
In den Blicken, die Milo (von Matt Smith mit britischer Nonchalance gespielt) seinem Busenfreund zuwirft, steckt genauso wie in dem väterlich-protektiven Verhalten des Arztes Nicholas (Jared Harris) eine angenehm genderdurchlässige Queerness. Der eitle Zopfträger Jared Leto verstärkt diesen Subtext noch. Selbst das Fehlen interessanter weiblicher Figuren – Martine ist für die Geschichte überflüssig und stört die männlichen Techtelmechtel nur selten –, weist weniger auf Misogynie hin, sondern schlicht auf die mangelnde Neugier des Regisseurs. Bevor man einen weiblichen Sidekick als Love Interest inszeniert, bleibt Mann lieber unter sich.
Dass die Stringenz der Story an allen Ecken und Enden wackelt, stört dabei wenig. Wer behauptet, Superheldengeschichten seien schlüssig, hat noch nie einen Comic gelesen – beziehungsweise „Batman vs Superman – Dawn of Justice“ gesehen. Schließlich ist die Prämisse dieser fantastischen Idee ohnehin selbstgebastelt. Ihre Kohärenz beruht auf einer eigenen inneren Logik: Espinosa gibt seinen Choreografien aus schwebenden CGI-Explosionen mit viel Slowmo eine klare Comicbild-Rahmung. Insofern sticht „Morbius“ ein wenig aus den düsteren, gewalthaltigen und sexistischen Realitäten anderer Marvel-Adaptionen hervor. Das macht ihn nicht automatisch zu einem guten Superheldenfilm. Aber immerhin zu einem der sympathischeren.