Gitterstäbe zu Skulpturen

„Vor dem Fenster der Zelle ein Doppelgitter handfester Eisenstäbe von wenig zierlicher Form, aber darüber, jenseits der Mauer, konnte man zuweilen den Funkturm in seiner ganzen zierlichen, schlanken, luftumspülten Herrlichkeit sehen.“ In dem vergitterten Blick auf die filigrane Stahlgitterkonstruktion, den Hans Uhlmann am 3. Februar 1935 in seinem Gefängnistagebuch beschreibt, sieht man förmlich die künftigen Drahtfiguren und Metallplastiken eines der prominentesten Bildhauer der jungen Bundesrepublik vorgeformt.

Durchbrochen und geschlossen sind die Raumlineaturen, die beides zugleich umschreiben: die Erfahrung der Gefangenschaft und Sehnsucht nach Freiheit. „Raumlineaturen“ heißt denn auch die sehenswerte Ausstellung im Kunsthaus Dahlem, die sich vor allem Uhlmanns grafischem Werk von 1933 bis 1960 widmet. Anlass für diese Werkschau ist die verdienstvolle Publikation seiner Tagebücher aus der Gefängniszeit in Tegel (1933 – 35), die intime Einblicke sowohl in seine quälenden Hafterlebnisse wie seine künstlerische Entwicklung geben.

Im Gefängnis blieb er weiterhin künstlerisch aktiv

Bald nach dem Wahlsieg der NSDAP hatte der gebürtige Berliner – gelernte Ingenieur, Musikliebhaber und Kommunist – seine Stelle an der Technischen Hochschule Berlin verloren und war 1933 bei einer Flugblattaktion von der Gestapo verhaftet, im berüchtigten Columbia- Haus verhört und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu eineinhalb Jahren Gefängnishaft verurteilt worden.

Seine dort auf Französisch verfassten und später ins Deutsche übersetzten Tagebücher erzählen eindringlich davon, wie geistige Nahrung und Freiheit dazu beitragen können, Hunger und Unfreiheit zu ertragen. Uhlmann verschlang förmlich die Bücher französischer Autoren wie Gustave Flaubert, Victor Hugo und Jean Cocteau, die ihm seine Künstlerfreundin Jeanne Mammen ebenso beschaffen konnte wie Zeichenmaterial. So füllte er drei Hefte mit Skizzen, die hier zum ersten Mal ausgestellt und ebenfalls publiziert sind.

Die Skizzenbücher sind erstmals zu sehen

Es sind lineare Skizzen von Figuren und Köpfen, die bereits die luftigen Volumina der späteren Drahtfiguren vorwegnehmen. Dass es sich tatsächlich um Ideenskizzen für Skulpturen handelt, bestätigen nicht nur die Bildunterschriften „En fil de fer“ (aus Draht), sondern auch Passagen aus den Gefängnistagebüchern, in denen Uhlmann ihre plastische Umsetzung imaginiert, beschreibt und unter den begrenzten Ausführungsmöglichkeiten leidet.

Aus der Haft entlassen, stellte Uhlmann dann tatsächlich mehrere aufwendig gestaltete Grafikmappen zu Drahtfiguren her, aber auch Plastiken, die heute größtenteils zerstört sind und nur durch Fotos dokumentiert blieben. Nur eine elaborierte Zeichnung eines Drahtkopfes von 1934 hat sich erhalten, die ein berührendes Zeugnis künstlerischer Schaffenskraft in Gefangenschaft darstellt. Darin zeigt sich bereits Uhlmanns konstruktiv-mathematisches Grundverständnis, das auch seinem ikonischen Kopf aus Eisendraht von 1935 aus der Neuen Nationalgalerie zugrunde liegt, der zuletzt in der Ausstellung „Die schwarzen Jahre“ im Hamburger Bahnhof zu sehen war.

Im öffentlichen Raum sind Uhlmanns Skulpturen präsent

Das neuerliche Interesse für die Künstler der „inneren Emigration“, das sich aktuell auch in der Ausstellung „Kunst für Keinen. 1933-1945“ in der Frankfurter Schirn zeigt, rückt mit Hans Uhlmann einen integeren und singulären Künstler ins Bewusstsein, der als bedeutender Bildhauer der Nachkriegsmoderne ein wenig in den Hintergrund geraten ist.

Obwohl er nach Kriegsende große Anerkennung erfuhr, 1950 an die Westberliner Kunsthochschule berufen sowie 1955, 1959 und 1964 zu den ersten drei Documenta-Ausstellungen nach Kassel und 1964 zur Biennale nach Venedig eingeladen wurde und im öffentlichen Raum mit zahlreichen Großskulpturen präsent ist, haftet dem Werk von Uhlmann bis heute ein Verdikt der Verspätung an. Dagegen unternimmt die Kuratorin Dorothea Schöne den beherzten und gewagten Versuch, sein grafisches Werk in einer spiegelnden Ausstellungsarchitektur neu zu präsentieren, die der in Berlin lebende Künstler Albert Weis entworfen hat.

Uhlmanns künstlerische Entwicklung wird nachvollziehbar

Dafür konnte er auf seine mehrteilige, architektonisch-räumliche Installation „Changes“ (2018/2022) zurückgreifen, die typische Elemente aus dem Grundriss der Berliner Philharmonie aufnimmt, deren First eine der bekanntesten Arbeiten von Hans Uhlmann trägt (Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 8, bis 19. Juni; Mi bis Mo 11 – 17 Uhr. Uhlmanns Tagebücher sind bei Hatje Cantz erschienen, 28 €).

Im Zickzack der spiegelnden Wände vervielfachen sich nicht nur die räumlichen Bezüge, sondern auch die prismatischen Faltungen und Brechungen der Zeichnungen. Die verschwommenen Spiegeleffekte stellen zwar eine Herausforderung dar, die aber einen konzentrierten und frischen Blick auf die künstlerische Entwicklung Uhlmanns eröffnen: von den linearen Zeichnungen der 30er Jahre zu den semi-figurativen Blättern der 40er Jahre mit ihren Figurengruppen und bühnenhaften Ensembles bis zu den geometrischen Abstraktionen der 50er Jahre, bei denen anfangs noch Picassos Einfluss unübersehbar ist.

Im Dialog mit den Papierarbeiten, die zum größten Teil aus der Sammlung Rolf und Bettina Horn stammen, stehen eine Gipsgruppe von 1945, zwei Drahtskulpturen von 1948 und eine Stahlplastik von 1963 exemplarisch für das bildhauerische Werk. Dass Hans Uhlmann nun ausgerechnet im Kunsthaus Dahlem, dem ehemaligen Atelier von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, zu neuen Ehren kommt, darf als besondere Pointe gelten. Und als späte Würdigung für einen aufrechten, verdrängten und immer noch unterschätzten Künstler.