Der Zeichner von „Valerian und Veronique“ ist tot
Die Suffus können die verführerischste Gestalt annehmen, sehen aber in Wirklichkeit wie schleimige Amöben aus. Die Grunztiere vom Planeten Bluxte können jeden beliebigen Gegenstand endlos oft reproduzieren – äußerst praktisch bei Reisen durchs Weltall, wenn einem das passende Kleingeld fehlt. Und die Zuurspiloten sehen zwar aus wie riesige Quallen, sind aber als telepathisches Medium sehr hilfreich.
Das sind einige der Kreaturen, die das französische Comic-Duo Pierre Christin (Szenario) und Jean-Claude Mézières (Zeichnungen) für die Science-Fiction-Comicreihe „Valerian und Veronique“ erfunden hat.
Vor fünf Jahren hatten diese verrückten Wesen ihren großen Auftritt auf der Kinoleinwand und wurden dank des Films „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ von Luc Besson („Das Fünfte Element“) einem Publikum weit jenseits der Comicszene bekannt. Und mit ihnen zwei der wichtigsten Figuren, die der französische Comic hervorgebracht hat: Valerian und Laureline, Comiclesern hierzulande dank einer Übersetzerlaune seit 1978 als Valerian und Veronique bekannt.
Am Sonntag nun wurde bekannt, dass der Zeichner dieser wegweisenden Reihe gestorben ist. Das meldete sein Verlag Dargaud am späten Nachmittag: „Mit großer Trauer haben wir vom Tod von Jean-Claude Mézières erfahren, der in der Nacht zum 23. Januar 2022 im Alter von 83 Jahren verstorben ist“, teilt der Verlag auf Twitter mit.
„Ohne ihr Gespür für die richtige Inszenierung wäre der Science-Fiction niemals zu so einem ertragreichen Genre des Comics geworden“, heißt es in einem ersten Nachruf der Zeitung „Le Monde“ zur Bedeutung des Werkes von Christin und Mézières.
Mit ähnlichen Worten war dem Zeichner 2018 beim Internationalen Comic-Salon Erlangen ein Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk verliehen worden: „Die unendlichen Weiten des Kosmos werden ihre Faszination nie verlieren – und Jean-Claude Mézières ist ihr bester Porträtist.“
Inspiration für die ersten „Star Wars“-Filme
Valerian und Veronique sind in der fernen Zukunft Agenten des Raum-Zeit-Service und reisen von der Sternen-Hauptstadt Galaxity aus durch ferne Welten, um die ausgefallensten Abenteuer zu bestehen. Die Alben mit ihren Geschichten erreichten Millionenauflagen und wurden in knapp ein Dutzend Sprachen übersetzt, auf Deutsch ist die Gesamtausgabe bei Carlsen erschienen.
Als die Comics, von denen im Laufe der Jahrzehnte 23 Sammelbände veröffentlicht wurden, ab 1967 erstmals erschienen, waren die Ideen und Bilder von Christin und Mézières revolutionär.
Psychedelisch anmutende Planetenwelten, denen die Flower-Power-Ästhetik der späten 1960er Jahre anzusehen ist, ferne Zivilisationen in akribischen und doch spielerisch anmutenden Zeichnungen ausgestaltet, fantastische Kreaturen in allen erdenklichen Formen und Farben, die auch die ersten „Star Wars“-Filme inspiriert haben sollen.
Fantastische Bilder, politische Handlung
Dazu eine Handlung mit modernen, bemerkenswert politischen Inhalten. So lässt sich der Band „Botschafter der Schatten“ von 1975, der eine der direkten Inspirationsquellen des Kinofilms „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ war, als Parabel auf Kolonialismus und Rassismus lesen. Auch die Rollenverteilung der beiden Hauptfiguren war damals durchaus modern, ist doch oftmals Laureline die mutigere, klügere und aktivere im Duo.
„Diese Comics waren meine einzige Flucht, ein Fenster ins All“, erinnerte sich Regisseur Luc Besson vor fünf Jahren im Tagesspiegel-Interview.
„Wenn man in den Kosmos von Jean-Claude Mézières eintaucht, begegnen einem Bilder, die vertraut wirken“, hieß es 2018 in der Max-und-Moritz-Laudatio. „Als hätte Mézières sich in seinen Zeichnungen an den großen Science-Fiction- und Weltraum-Abenteuern des Kinos orientiert.“
Die Wahrheit sei aber eine andere: „Zahlreiche Ausstatter und Regisseure haben sich bei Jean-Claude Mézières bedient, bei einer Reihe von Filmen hat er auch offiziell seine Spuren hinterlassen – etwa bei Peter Fleischmanns Adaption der Strugazki-Novelle „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ (1990).“ In Luc Bessons „Das fünfte Element“ (1997) sei Mézières Handschrift besonders gut zu erkennen.
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Mézières und Christin kannten sich seit ihrer Kindheit. Die beiden 1938 geborenen Jungen trafen zum ersten Mal während des Zweiten Weltkriegs in einem Luftschutzbunker aufeinander – Ausgangspunkt einer künstlerischen Freundschaft, die 1966 mit ersten gemeinsamen Comics begann und für die die beiden unter anderem 1984 mit dem Großen Preis des Festivals in Angoulême („Prix Alfred“) geehrt wurden.
Mézières’ Zeichnerkarriere begann 1953 mit einer Ausbildung an der Pariser École des Arts Appliqués, wie in einer Kurzbiografie seines deutschen Verlages, Carlsen, nachzulesen ist. Nachdem er zahlreiche Kurzgeschichten für frankobelgische Comic-Magazine gezeichnet hatte, trat er 1965 eine anderthalbjährige Reise durch die USA an, wo er seinen alten Jugendfreund Pierre Christin wiedertraf.
„Christin wurde von Mézières für die Comics gewonnen und später zum wichtigsten Szenaristen seines Freundes“, heißt es bei Carlsen weiter. Die ersten gemeinsamen Kurzgeschichten der beiden erschienen auf Empfehlung des Comicpioniers Jean Giraud in der Zeitschrift „Pilote“. Dort veröffentlichte Mézières bis November 1967 kürzere Arbeiten nach eigenen Szenarien sowie von anderen Autoren geschriebene Geschichten, bevor hier 1967 die erste Episode von „Valerian und Veronique“ erschien.