Wenn Kunst dazu zwingt, genauer hinzuschauen
Wie Fremdkörper wirken die Installationen in den perfekt durchgestylten Wohnzimmern. Sie stellen Behausungen wohnungsloser Menschen dar. Fotografiert hat sie Jana Sophia Nolle, um das Recht auf bezahlbaren Wohnraum zu thematisieren und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich aufzuzeigen. „Kunst fordert auf, hinzuschauen,“ sagt sie.
Nolle hat Politikwissenschaften und Friedensbeobachtung in London studiert und während ihrer späteren Arbeit in dem Bereich viel Leid gesehen. San Francisco stellte für sie einen Kipppunkt dar. Dort steht der Boom von Silicon Valley im scharfen Gegensatz zu den steigenden Mieten und Unterhaltskosten, die viele nicht mehr aufbringen können.
Die Künstlerin konfrontiert den Betrachter mit unliebsamen Realitäten
Jana Sophia Nolle bildet mit ihren Aufnahmen die Situation der Obdachlosen in San Francisco nicht nur ab, sondern setzt sie in einen Kontext. Ihre Kunst konfrontiert mit einer Realität, die viele sonst nicht an sich heranlassen.
Dafür geht die Fotografin seit 2016 immer wieder auf Menschen zu, die auf der Straße leben. Sie verbringt viel Zeit mit ihnen und bittet darum, deren Unterkünfte dokumentieren zu dürfen, um sie anschließend aus anderen Materialien in den großzügigen Wohnzimmern wohlhabender Menschen nachzubauen. Die Kartons, Deckenberge und Wagen erscheinen gänzlich deplatziert in den schicken Räume, die von manchen Besitzer:innen sogar eigens hergerichtet wurden.
Kais Leiterwagen steht mitten in der Ausstellung, obendrauf eine Puppe
Einige der wohnungslosen Menschen traf Nolle immer wieder, wie Kai aus Berlin. Ein Handwagen, der einst ihm gehörte, befindet sich konkret neben den Fotografien aus Berlin und San Francisco in der von Enno Kaufhold kuratierten Ausstellung. Als die Künstlerin Kai wieder einmal besuchte, sei das Ordnungsamt gekommen und habe ihn aufgefordert, nur mitzunehmen, was er tragen könne, berichtet sie. Da er zwei Leiterwagen besaß, kaufte Nolle ihm jenes Exemplar ab, das nun im Haus am Kleistpark ausgestellt ist, mit grünem Sonnensegel und einer Puppe obendrauf.
Auch die Künstlerin musste sich mit dem Ordnungsamt auseinandersetzen, als sie für ihre Videos, die nun erstmals in der kommunalen Galerie zu sehen sind, Obdachlosenunterkünfte auf der Straße nachbaute. Die Videos demonstrieren, wie wichtig der Aspekt der Mobilität für Menschen wie Kai ist, die sich immer wieder neue Orte zum Schlafen suchen müssen. Deshalb benutzten auch so viele von ihnen einen Wagen, der ihre Habseligkeiten transportiert.
[Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6/7, bis 17. Oktober; Di bis So 11 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr.]
Als nächstes plant Nolle ihr Projekt in anderen Städten fortzuführen. Zum Beispiel in London oder Paris, wo ebenfalls die Obdachlosigkeit zugenommen hat. Durch die Pandemie ist das Problem aktueller denn je. Pia Benthin