24. Young Euro Classic Festival in Berlin: Gemeinsamkeit und Einsamkeit
Da hat Olaf Zimmermann wohl nicht so genau nachgeschaut: In der vergangenen Woche forderte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats unter anderem in einem Interview mit dem RBB, in Berlin dürfe es künftig kein kulturelles Sommerloch geben. Die Bühnen der Hauptstadt, so sein Appell, müssten sich besser absprechen, damit auch während der Spielzeitpause den Einwohnern wie den Touristen ein durchgängiges Programm geboten werden könne.
Was dem rührigen Lobbyisten nicht aufgefallen ist, obwohl er sein Büro in Berlin hat: Im Bereich der klassischen Musik war die Lücke im Veranstaltungskalender in diesem Sommer minimal. Am 16. Juli spielte die Staatsoper Unter den Linden ihre letzte Vorstellung, am Freitag, also am 4. August, startete nun Young Euro Classic im Konzerthaus. Das sind gerade einmal 18 Tage ohne orchestrale Klänge.
Auf höchsten zwei Wochen könnte man diese Phase der Stille drücken, wenn die Absprache zwischen den staatlichen Kulturinstitutionen so funktioniert, wie sich Olaf Zimmermann das wünscht. Denn die festangestellten Künstlerinnen und Künstler haben nun einmal einen Anspruch darauf, innerhalb der großen Ferien vier Wochen am Stück freizubekommen, damit sie mit ihren Familien in den Urlaub fahren können.
Kai Wegner eröffnet das Festival
Zumindest eine lobende Erwähnung für die hauptstädtische Klassik-Szene wäre seitens des Lobbyisten also angebracht gewesen. Doch das Hochleben-Lassen muss am Freitag der Regierende Bürgermeister übernehmen. Kai Wegner eröffnet die 24. Young Euro Classic-Ausgabe, bei der bis zum 27. August wieder Jugendorchester aus aller Welt am Gendarmenmarkt auftreten. Es sei sein erster Besuch bei dem Festival, gibt Wegner zu, verspricht aber, dass es nicht sein letzter sein soll.
Von weither kommen die ersten Gäste, die 18 bis 28-jährigen Musikerinnen und Musiker des Asian Youth Orchestra: In dem 1990 gegründeten Ensemble finden alljährlich im Sommer Stipendiaten aus 12 Regionen zusammen, um sechs Wochen in Hongkong zu proben und dann auf internationale Tournee gehen, mit 16 Konzerten in vier Wochen.
Die meisten der 95 Teilnehmer:innen stammen diesmal aus Taiwan, nämlich 32. Ein Usbeke ist dabei, außerdem Talente aus Vietnam und Thailand, Südkorea, Japan, Singapur, China, Hongkong, Macao, Malaysia und von den Philippinen.
Wie hochprofessionell und frühreif sie allesamt sind, zeigt sich in der Ouvertüre zu Michail Glinkas Oper „Ruslan und Ludmila“: Chefdirigent Joseph Bastian fordert ein halsbrecherisch schnelles Tempo – und bekommt absolute Präzision, rasante Brillanz in allen Instrumentengruppen.
Die einhundertprozentige Fokussierung aller Beteiligten beeindruckt dann auch in Gustav Mahlers vierter Sinfonie. Glasklar und elegant ist das Klangbild, mit makellosen Soli als Glanzlichtern. Joseph Bastian kann die Schönheiten der Partitur voll auskosten. Das Doppelbödige, Abgründige von Mahlers Musik allerdings bleibt an diesem umjubelten Abend verborgen.
Wie weit man als Interpret im Lauf der Jahrzehnte in die Tiefenschichten der großen Meisterwerke vordringen kann, führt Alban Gerhardt seinen jungen Mitstreiter:innen vor. Als Solist in Edward Elgars Cellokonzert breitet er das Panorama einer ganzen Epoche aus: 1919 beweint der britische Komponist mit dieser Musik eine Welt, die in den Schlachten des Ersten Weltkriegs untergegangen ist.
Von packender Präsenz ist Alban Gerhards Ton, Virtuosität dient ihm allein zur Intensivierung des Ausdrucks. Umleuchtet vom Abendsonnenglanz des Orchesters wandelt er durch die Erinnerungsräume, aber nicht als trostloser Vereinsamter, sondern als lebenskluger Melancholiker, der er weiß, dass er Seelenfrieden nur dann finden kann, wenn er auch den Schmerz zulässt.