Zukunft der KI: Rishi Sunak lädt zum Global Summit nach London ein

Als 1939 eine Gruppe von Fremden das Herrenhaus im Park von Bletchley bezogen, beschrieben Einheimische die Neuankömmlinge als „so professorale Typen“. Dahinter verbarg sich die Creme britischer Mathematik und Ingenieurswissenschaft, deren einzige Aufgabe darin bestand, die Codes der Nazi-Kriegsmaschine zu entschlüsseln. Bald gesellten sich Hunderte, später Tausende von Wissenschaftlerinnen, Sekretärinnen und anderem Hilfspersonal hinzu.

Die höchst geheime Arbeit – brillant eingefangen von Bestseller-Autor Robert Harris in seinem mit Kate Winslet verfilmten Roman „Enigma“ (1995) – führte zu einem der wichtigsten britischen Erfolge im Zweiten Weltkrieg: der Entschlüsselung des Ultra-Codes, mit dem die deutschen Streitkräfte ihre Enigma-Verschlüsselungsmaschinen fütterten. Seither gelten die Abhörexperten von Bletchley Park als Helden, deren Arbeit den Krieg verkürzte. Längst hat auch einer der Köpfe, das Mathe-Genie Alan Turing, posthume Genugtuung dafür erfahren, dass ihn der britische Staat wegen seiner Homosexualität in den Freitod trieb. Heute ziert Turings Porträt den 50-Pfund-Schein, trägt das studentische Austauschprogramm seinen Namen.

Sunaks Herzensangelegenheit

Diese Woche ist das längst zum Museum umgewidmete Herz britischer Kriegsspionage der stimmungsvolle Hintergrund für eine zweitägige Konferenz. Mit Politikern wie der US-Vizepräsidentin Kamala Harris und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie Branchengrößen wie X-Boss Elon Musk diskutiert Großbritanniens Premier Rishi Sunak am Mittwoch und Donnerstag die Chancen, vor allem aber die Risiken künstlicher Intelligenz (KI), auf Englisch artificial intelligence (AI).

Das Treffen an historischer Stelle gehört zu Sunaks Herzensanliegen. In vielen anderen Bereichen, beispielsweise der Klimapolitik und globalen Handelsverträgen, wird die Brexit-Insel zwischen den Regulierungsgiganten USA und EU zerrieben. Im High Tech-Sektor will der einstige Hedgefonds-Manager und Gatte einer milliardenschweren IT-Managerin hingegen sein Land ganz vorn positionieren, wenn es um globale Absprachen geht. Dafür haben die Briten eine internationale Beratergruppe IPAIS (international panel on AI safety) ins Spiel gebracht, die nach dem Vorbild des UN-Klimawandelgremiums IPCC einmal jährlich zum Fortgang der sich rapide entwickelnden Technik berichten und auf Risiken hinweisen soll.

Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen beim AI Safety Summit.
Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen beim AI Safety Summit.

© REUTERS/Pool

Zwar sollten die KI-Marktführer nicht „ihre eigenen Hausaufgaben korrigieren“ dürfen, hat der konservative Regierungschef in einer Grundsatzrede vergangene Woche betont. Das Königreich werde bei der Regulierung des Sektors jedoch „keine Eile“ an den Tag legen, fügte der Gastgeber hinzu, sehr zur Erleichterung der Branche. Ein gleichzeitig vorgelegtes Thesenpapier hielt sich nicht lange auf mit Jobverlusten oder Desinformationskampagnen à la Trump oder Brexit, gab hingegen apokalyptischen Warnungen vor KI-kreierten Biowaffen und der demnächst bevorstehenden Weltherrschaft von Super-Computern breiten Raum.

Sunak steht unter dem Druck des Sektors munterer Tech-Startups, die sich besonders in der Hauptstadt London tummeln. Viele der jetzt erwogenen Regularien seien auf große KI-Firmen mit viel Geld zugeschnitten, befürchtet die Branche einem Bericht des einflussreichen, nach dem früheren Premier benannten Tony Blair-Instituts (TBI) zufolge. „Zu dieser Zeit sollte das Vereinigte Königreich in Bezug auf KI Mut zeigen, keine Angst“, resümiert TBI-Stratege Benedict Macon-Cooney.

Wie gefährlich ist KI? Wie dringend ist die Suche nach einer weltweiten Regulierung? Gar nicht furchtbar dringend, findet Nick Clegg, Mark Zuckerbergs Botschafter hienieden, was bei Meta, vormals Facebook, den schönen Titel „Präsident für globale Angelegenheiten“ mit sich bringt. Da gebe es eine Art von Auktion in Bedrohungsszenarien, belustigt sich der 56-Jährige und tadelt en passant die EU, für die der englische Liberale in einem früheren Leben einmal gearbeitet hat: Deren geplante Regulierungsgesetzgebung, über die in Brüssel dieser Tage heftig gestritten wird, sei „viel zu plump“.

Die Einlassung ist insofern mit Vorsicht zu genießen, als Clegg die Risiken der Beteiligung seiner Liberaldemokraten an der britischen Koalitionsregierung mit den Konservativen (2010-15) katastrophal unterschätzte. Von den Folgen hat sich die nominell dritte Partei auf der Insel bis heute nicht erholt. Andererseits hat Zuckerbergs Meta das Sprachmodell Llama 2 – von den Datenmengen und der Vorgehensweise her mit ChatGPT und anderen large language models (LLM) vergleichbar – frei zugänglich gemacht (open source).

Britischer Permierminister Rishi Sunak empfängt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, beim AI Safety Summit.
Britischer Permierminister Rishi Sunak empfängt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, beim AI Safety Summit.

© AFP/Joe Giddens

Blick nach vorn

Damit liegt Meta nicht nur über Kreuz mit anderen Tech-Giganten wie Google (deep mind) oder das einst als kostenfrei, längst aber auf Gewinn abzielende Unternehmen mit dem schönen Namen OpenAI. „Gefährlich“ findet die freie Zugänglichkeit mit Blick auf Konkurrenten der freien Welt wie das nationalkommunistische Regime Chinas auch der legendäre Risikokapital-Anleger Vinod Khosla: Metas Vorgehen sei mit einer Offenlegung des „Manhattan Projects“ vergleichbar, also mit der kürzlich im Film „Oppenheimer“ langstielig nacherzählten Entwicklung der US-Atombombe im Zweiten Weltkrieg.

Andere beurteilen Metas demonstrative Offenheit ebenfalls kritisch, aber aus anderen Gründen. Darunter befindet sich eine andere frühere Parlamentarierin für eine liberale Partei, die Niederländerin Marietje Schaake, heute Direktorin am Cyber Policy Center der kalifornischen Stanford Universität. Zwar habe Metas Llama 2 in einem kürzlichen, in Stanford entwickelten Transparenz-Test besser abgeschnitten als die Konkurrenz, berichtete Schaake in der „Financial Times“, dabei aber lediglich 54 von 100 Punkten erzielt: „Bei einer studentischen Seminararbeit käme das einem ‚durchgefallen‘ gleich.“

Unsicherheit allerorten also, sowohl über die Risiken künstlicher Intelligenz als auch deren Chancen. Zu allem Überfluss ist es im Fachjargon mit der einfachen Abkürzung KI/AI längst nicht mehr getan; schon benutzen die einschlägigen Fachleute den Begriff „frontier AI“, ein Ausdruck, der andeuten soll, dass es hier womöglich um die Grenzen des Universums, jedenfalls aber um sehr viel geht.

Auf einen in Bletchley Park höchstens am Rande zur Sprache kommenden Aspekt weist im „Guardian“ Jonnie Penn hin, der an der Universität Cambridge zur Ethik von künstlicher Intelligenz lehrt. Weil das Programmieren und Betreiben gewaltiger Datenmengen große Mengen an Energie verbraucht, setze KI die Menschheit auf Kollisionskurs mit dem Klimaschutz. „Anstatt über die Maßen auf KI zu setzen, sollten wir sie nur benutzen, wo es nützlich ist.“ Wie schade, dass es dafür keine Gebrauchsanweisung gibt.