Für alle Felle

Warum legt sich eine Frau ein männliches Pseudonym zu? Jahrhundertelang sahen sich Künstlerinnen dazu gezwungen, um in der Männergesellschaft reüssieren zu können – weil die Herren der Schöpfung davon überzeugt waren, dass weibliches Genie undenkbar ist. Nur hinter dem Schutzschild eines maskulin klingenden Namens konnten sie sich Zugang zum Markt verschaffen.

Die Zeiten sind, gottseidank, vorbei. Mittlerweile erscheint es Tonsetzern sogar opportun, den umgekehrten Weg zu gehen. Klaus Martin Kopitz veröffentlicht seine lieblichen Klavierstücke als „Mia Brentano“. Musik von jungen Frauen verkauft sich heute einfach besser. Friederike Bernhardt dagegen nennt sich Moritz Fasbender, manchmal jedenfalls.

Die 1986 in Wittenberg geborene Wahl-Leipzigerin veröffentlicht unter eigenem Namen Filmscores und Hörspiele. Außerdem ist sie seit 2008 erfolgreich als Bühnenmusikkomponistin, hat in Berlin schon fürs Gorki sowie fürs Deutschen Theater gearbeitet und beschallt aktuell am Hamburger Schauspielhaus Karin Henkels neue „Macbeth“-Inszenierung, die Ende September Premiere hat.

Introvertiert und ein bisschen verschroben

Wenn sie aber mit Tasteninstrumenten experimentiert, Klavier und Synthesizer verschmelzen lässt, dann nennt sie sich eben Moritz Fasbender. „Rabbits“ heißt das jüngste Projekt und umfasst 13 Tüftler-Tracks, die introvertiert wirken und ein bisschen verschroben, aber interessanter klingen als das allermeiste, was unter dem Schlagwort „Neoklassik“ durch die Spotify-Playlists wabert.

Erst erschien eine EP (XXIM/Sony), jetzt folgte ein digitales Album (Edition Dur): Was wie Improvisation wirkt, ist natürlich zuvor mit Detailgenauigkeit ausgearbeitet worden, atmosphärisch raffiniert inszeniert. Wobei Friederike Bernhardt das Brummen, Fiepen und Rauschen aus elektronischen Quellen so bedacht und zielorientiert einsetzt wie ein Profikoch seine Gewürze.

So klingt Gänsehautgefühl

In „W123“ hört man ein verstimmtes Piano, so einen alten Kasten, wie ihn viele Menschen von ihren Großeltern geerbt haben. Hinterrücks schleichen sich künstliche Klänge an, überwölben das Tastenspiel aber nicht, sondern geben ihm sogar neuen Drive, bis sich aus ziellosem Geklimper veritable Melodien formen. In „Act 3“ dominieren neblige Klangflächen, „Swifts“ erscheint als akustische Umsetzung des Gänsehautgefühls, könnte, wegen des Vogelgezwitschers im Hintergrund aber auch als Sonnenaufgangsmusik gedacht sein.

„Gravity“ wirkt wieder abstrakter, von Ferne hört man Kinderstimmen, dann drängt sich ein Beat in den Vordergrund, lässt die Erwartung wachsen, dass jetzt ein Popsong folgt. Doch der kommt nicht, es bleibt beim Intro, bis die Nummer in die Ausgangsstimmung zurücksinkt und erlischt. „Last Airport“ hebt dagegen wirklich ab, zu repetitiven Klangfiguren gibt es Düsengeräusche und Kapitänsdurchsagen, schließlich leuchtet ein pathetisch-sonniges Synthesizermotiv auf. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein – auch die geschlechtliche, wie Friederike Moritz Bernhardt-Fasbender mit androgynem Charme beweist.