Wir können jederzeit verhaftet werden
Zwischen Küche und Kirche bewegten sich Olga Podgaiskaya und Vitali Appow in der fünften Ausgabe von „Zuhören – Dritter Raum für Kunst und Politik“, die coronabedingt in digitaler Fassung stattfand. Die beiden belarussischen Musiker*innen waren von Sasha Waltz & Guests zu einer vierwöchigen Residenz nach Berlin eingeladen worden – und hatten, wie sie berichteten, ideale Bedingungen, um sich ganz auf ihre kreative Arbeit zu konzentrieren. Olga Podgaiskaya hat Komposition und Orgel an der Staatlichen Musikakademie in Minsk studiert. Gemeinsam mit ihrem Mann Vitali Appow ist sie Mitgründerin der Gruppen „Five Storey Ensemble“ und „Rationale Diät“. In Berlin konnte sie die Orgel in der Sophienkirche spielen. In der Elisabeth-Kirche hat das Künstlerpaar dann mit dem Tänzer Virgis Puodziunas, einem langjährigen Mitglied von Sasha Waltz & Guests, und dem belarussischen Schauspieler Igor Shugaleev die kurze Tanzperformance „In B“ erarbeitet.
Eine Brücke zu schlagen zwischen Berlin und Belarus, darum gehe es bei „Zuhören – in B“, erklärte der Dirigent Vitali Alekseenok, der durch den Abend führte. Alekseenok, der in Belarus geboren wurde, lebt schon seit Jahren in Deutschland. Im August letzten Jahres ist er in seine Heimat zurückkehrt und hat sich an den Protesten gegen Staatschef Lukaschenko beteiligt. Seine Eindrücke hat er im Buch „Die weißen Tage von Minsk“ geschildert. Um die Arbeitsbedingungen der Künstler:innen und ihre Rolle bei den Protesten drehte sich das aufgezeichnete Gespräch, das er moderierte. Die Lage für zeitgenössische Musiker sei sehr schwierig, berichtete Podgaiskaya.
Lukaschenko hat unabhängige Kulturzentren schließen lassen
Unabhängige Kulturzentren wurden geschlossen, und das von Appow geleitete Festival Kinemo, das Stummfilm und zeitgenössische Musik verbindet, konnte im letzten Jahr nicht stattfinden. Viele Künstler:innen hätten das Land verlassen. Für die, die bleiben, ist es gefährlich. „Wir können jeden Moment verhaftet werden“, sagte Appow. Sie habe schon viele Formen der Angst kennengelernt, erzählte Podgaiskaya – und lerne noch immer neue kennen. In Berlin sei die Angst nach ein paar Tagen von ihr abgefallen.
Einiges hätte man vertiefen können bei dem Gespräch, doch auch so wurde deutlich, welchen Repressionen Künstler:innen in Belarus ausgesetzt sind – und wie viel Mut es braucht, um Widerstand zu leisten. Danach wurde etwas abrupt zur Live-Kochshow umgeschaltet. Podgaiskaya und Appow zeigten mit der in Berlin lebenden Fotografin Anna Limantava, wie man eine Babka, einen traditionellen Kartoffelauflauf, zubereitet. Während sie im Ofen schmorte, wurde die Tanzperformance „In B“ zu einer Komposition für Orgel gezeigt. Es geht um Lähmung und Stillstand, aber auch um Aufbruch und Zusammenhalt. Die Komponistin entlockt der Orgel mal dissonante, mal filigrane Töne.
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Der Abend sprang hin und her zwischen politischen, ästhetischen und kulinarischen Fragen, vor allem war er Ausdruck von grenzüberschreitender Solidarität. Olga Podgaiskaya und Vitali Appow werden nach Minsk zurückkehren und weiterkämpfen für ihren Traum von einem freien Belarus.