Widerspruch ist zwecklos: Wie Gabriel Clemens die Dartswelt eroberte

Am Neujahrstag gab Gabriel Clemens sein letztes Siegerinterview auf der Bühne des Alexandra Palace in London. Ein Interview, das nur wenige Minuten dauerte – und doch repräsentativ dafür war, wie der deutsche Dartsprofi tickt.

Kurz zuvor hatte er den größten Erfolg seiner Karriere durch den Halbfinaleinzug bei der WM ein zweites Mal überboten, gegen keinen Geringeren als den Weltranglistenersten und ehemaligen Weltmeister Gerwyn Price. Er sorgte für Furore, weil er als erster Deutscher überhaupt über das WM-Achtelfinale hinauskam.

Nun stand Clemens also auf der Bühne und wartete auf die Fragen der Reporterin. Grinsend, beglückt durch das soeben Vollbrachte – und doch leicht gequält. Letzteres hatte damit zu tun, dass er der Reporterin hilflos ausgeliefert war und sie gerade anfing, ihm die Fragen auf Englisch zu stellen. Eine Sprache, die er nur rudimentär beherrscht.

Es ist seit Jahren ein offenes Geheimnis auf der Tour, dass Clemens solche Situationen lieber meidet. Das konnte er bislang auch ganz gut – was vor allem daran lag, dass Siegerinterviews und -pressekonferenzen bei ihm nicht zur Turnier-Tagesordnung gehören.

Wenn er aber mal nicht drumherum kommt wie am Neujahrstag nach dem sensationellen Sieg im WM-Viertelfinale, sieht man den höflichen „German Giant“, wie er jede Frage nach Kräften versucht zu beantworten. Bei Frage eins und zwei gelang ihm das noch – Frage drei verstand er, sicherlich auch aufgrund des Lärmpegels, nicht mehr.

Clemens fremdelt mit der Darts-Tour und passt doch perfekt hinein

Dieser Umstand beschreibt Clemens‘ Rolle auf der britisch dominierten Tour ganz gut: Die Rolle eines Mannes, der fremdelt und doch perfekt hineinpasst. Er ist der Gegenpol zu einer immer professioneller werdenden Tour und zeigt, dass die Basics letztlich entscheidend sind.

Nicht der junge, smarte Deutsche Max Hopp, dem selbst die britischen Experten nach seinen ersten WM-Teilnahmen im Teenager-Alter eine große Zukunft vorhersagten, mischt die große Bühne der Professional Darts Corporation (PDC) auf – sondern der eher schüchterne Clemens aus dem Saarland.

Am Ende blieb Clemens nur die faire Gratulation für den im Halbfinale besseren Michael Smith.
Am Ende blieb Clemens nur die faire Gratulation für den im Halbfinale besseren Michael Smith.
© Imago/Pro Sports Images

Ihm nimmt man ab, dass er nur Darts spielen will. Vor dem Halbfinale gegen den englischen Weltranglistenfünften Michael Smith sagte er, dass er gar nicht über den Titel nachdenke. Was bei anderen Spielern wie eine Floskel klingt, klingt bei Clemens authentisch. Widerspruch zwecklos.

Er gab zwar zu, dass es aufgrund des höheren Drucks in der Endphase eines Turniers schwieriger werde, die Doppelfelder zu treffen. Doch die Punktedurchschnitte von nah an die 100 im Viertelfinale und Halbfinale erweckten den Eindruck, als würde Clemens schon seit Jahren um Titel mitspielen.

Nie zuvor war er bei einem großen Turnier über das Achtelfinale hinausgekommen

Dabei war der 39-Jährige nicht nur bei der WM, sondern auch sonst bei großen PDC-Turnieren zuvor nie über das Achtelfinale hinausgekommen. Nach seinem Vorstoß in die erweiterte Weltspitze in den vergangenen Jahren, schien dieses Jahr gar besonders schwierig zu werden. Er suchte vor der WM nach seiner Form.

Er habe mit seinem Team zusammen etwas umgestellt, berichtete er nach dem Bühnen-Interview im Anschluss an das Viertelfinale im deutschen Fernsehen. Was genau, verriet er nicht. Doch es waren offensichtlich Veränderungen, die fruchteten.

Ich freue mich einfach darauf, wieder auf die Bühne zu gehen.

Gabriel Clemens nach dem verlorenen Halbfinale.

Ein Faktor, warum sich Clemens auf der Bühne des „Ally Pally“ in London so wohl fühlte, war sicherlich auch die Unterstützung. Nahezu dauerhaft waren während seiner Spiele deutsche Sprechchöre zu hören – in diesem Jahr waren besonders viele Fans auf die Insel geflogen.

Mithilfe der deutschen Fans spielte er sich beispielsweise im Viertelfinale in einen Rausch. Halbfinalgegner Smith nannte Clemens vor dem Aufeinandertreffen einen „deutschen Superstar“. Auch wenn es mit dem Finale aufgrund des 2:6 letztlich klar nicht reichte, freut sich Clemens „einfach darauf, wieder auf die Bühne zu gehen“, sagte er am Montagabend.

Dass ihn die vielen Medienanfragen, auch aus England, mental ermüdet hätten, verneinte Clemens. Er sei schlicht und einfach auf einen besseren Gegner getroffen, sagte er stattdessen gewohnt höflich. „Ich habe sehr gut performt und gehe davon aus, dass das so bleibt.“ Nach den Eindrücken der vergangenen Wochen will ihm auch diesbezüglich niemand widersprechen.

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