Veredelter Schund

Seiden glänzen die roten Buchstaben auf dem schwarzen Einband. QT – unter Filmfans gelten diese Initialen längst als eingetragenes Markenzeichen. Quentin Tarantino ist der große Veredler des cinephilen Schunds, kein B-Filmgenre, das er nicht einer Aufwertung zum Starkino à la Hollywood für würdig befinden würde: Martial Arts, Grindhouse, Naziploitation, den ItaloWestern.

Jeder Film ist eine Hommage an ein Genre und seine Ikonen. Einigen hat er sogar zu einem späten Comeback verholfen, dem unverwüstlichen David Carradine etwa in „Kill Bill“ oder dem Blaxploitation-Star Pam Grier mit „Jackie Brown“, eine der schönsten Liebeserklärungen an eine Schauspielerin.

Mit „Once Upon a Time in Hollywood“ hat QT sich vor zwei Jahren einen Traum erfüllt: Seine Re-Imagination von Los Angeles in den späten Sechzigern ist ein Abgesang auf die alten TV-Helden und erzählt vom Übergang in die Ära New Hollywood; in einer Nebenrolle der amerikanische Albtraum schlechthin, Hippie-Guru Charles Manson und seine mordende Family.

Der Roman ist eine Mogelpackung, er müsste Filmroman heißen

Jetzt hat Quentin Tarantino sich mit seinem ersten Roman einen weiteren Traum erfüllt. Wobei Roman eher eine Mogelpackung ist, die korrekte Bezeichnung von „Once Upon a Time in Hollywood“ müsste eigentlich Filmroman lauten: eine literarische Gattung, die Massenverlage wie Heyne und Knaur in den achtziger Jahren auch auf dem deutschen Markt populär machten.

Kinofans konnten ihre Lieblingsfilme so noch einmal zu Hause nachlesen – allerdings verloren „ET“, „Stirb Langsam“ oder „Zwei stahlharte Profis“ auf dem Papier stark an Reiz. Diese Bücher waren damals lediglich Teil der Verwertungskette, ohne eigenen künstlerischen Wert. Leider lässt sich Ähnliches auch über den ersten Roman von QT sagen.

Tarantino ist fraglos ein großartiger Dialogschreiber, die Drehbücher zu „Pulp Fiction“ und „Django Unchained“ gewannen den Oscar. Seine Dialoge beflügeln auch seine Stars, fast 30 Jahre musste Brad Pitt auf seinen ersten Darsteller-Oscar warten: Der Stuntman Cliff Booth war sozusagen seine erste Altersrolle. Manchmal glänzen Tarantinos Stars sogar ohne Worte: Die One-Man-Show, wie Pitt mit freiem Oberkörper und einer Dose Bier in der Hand eine Dachantenne repariert, muss man gesehen haben.

Ohne Starkörper wirkt der Roman unbelebt

Genau hier liegt aber das Problem des Romans. Die Szene kommt auch in „Once Upon a Time in Hollywood“ vor, doch ohne Starkörper bleiben Tarantinos Sätze unbelebt. Nur wenige schreiben Dialoge wie der ewige Golden Boy Hollywoods, der seine Lehrjahre hinterm Tresen einer Vidoethek verbrachte. Doch ein großer Romancier wird aus Quentin Tarantino wohl nicht mehr, auch wenn sein Selbstbewusstsein locker für eine zweite Literaturkarriere reichen dürfte.

In Interviews erklärte Tarantino, dass im Roman die Vorgeschichte seiner Figuren mehr Raum bekommen sollte. Wer sich mit seinem Œuvre auskennt, weiß, dass er immer für eine – meist außerordentlich blutige – Überraschung gut ist. „Once Upon a Time in Hollywood“ sorgte vor zwei Jahren für Kontroversen, weil der Film angeblich die Ermordung der Schauspielerin Sharon Tate durch Mitglieder der Manson Family zeigen sollte. Dass die Hippiekids im Film schließlich in das Haus des abgehalfterten Fernsehcowboys Rick Dalton, gespielt von Leonardo di Caprio, eindringen und dort von Kumpel Cliff lustvoll massakriert werden, war eine dieser typischen Volten in Tarantinos alternativer Geschichtsschreibung. Man durfte gespannt sein, welche Wendung er sich fürs Buch aufgehoben hatte.

Viele Szenen lesen sich wie aus dem Film rückübersetzt

Auf die große Pointe wartet man in „Once Upon a Time in Hollywood“ allerdings vergeblich, Tarantino reichert die Biografie von Pitts Figur lediglich mit ein paar Anekdoten aus dem Zweiten Weltkrieg an. Cliff Booth erweist sich nebenbei auch als Kino-Connaisseur, der sich tagsüber am Sunset Boulevard in Filme mit Untertiteln setzt – egal, ob es sich um einen Kurosawa-Klassiker handelt oder den neuen schwedischen Hype-Film „Ich bin neugierig (gelb)“, an dem Cliff vor allem die echten Sexszenen interessieren.

Die meisten Szenen lesen sich allerdings wie direkt vom Film auf die Buchseiten rückübersetzt, obwohl Tarantino behauptet, das Buch habe schon vor dem Film existiert. (Trotzdem war „Once Upon a Time in Hollywood“ 2020 in der Kategorie Originaldrehbuch für den Oscar nominiert.)

Tarantino versteht es, sich selbst zu vermarkten

Am unterhaltsamsten sind noch die seitenlangen fingierten Filmbiografien und Anekdoten wie aus Kenneth Angers Gossip-Bibel „Hollywood Babylon“. Warum Tarantino aber dachte, das wäre genug, um gleich einen Roman nachzulegen, bleibt nach 400 Seiten ein Rätsel.

Tarantino versteht es, sich selbst zu vermarkten. Der einstige Protegé von Harvey Weinstein genießt in der Branche Carte blanche: „Kill Bill“ durfte er 2003 opulent als Zweiteiler in die Kinos bringen, seinen Western „Hateful Eight“ originalgetreu mit 70-mm-Filmkopien. In Hollywood redet ihm heute niemand mehr rein, das gilt neuerdings scheinbar auch für Literaturagenten und Verleger.

Tarantino ist ein Fan von lakonischen Krimiautoren wie Walter Mosley, Charles Willeford und Elmore Leonard, der die Vorlage zu „Jackie Brown“ geschrieben hat. Nur mangelt es ihm am Rhythmus seiner Vorbilder. Seine szenische Beschreibung (im Film die Mise en Scène) ist lapidar, was zwischen seinen Figuren unausgesprochen bleibt, liest sich hölzern wie Drehbuchanweisungen.

Die Übersetzung von Stephan Kleiner und Thomas Melle tut ihr Übriges. Schwer zu sagen, mit welchem Ausgangsmaterial sie arbeiten mussten, aber eine Beleidigung wie „Dämlack“ möchte man aus dem Mund einer Tarantino-Figur nicht hören – auch nicht eines Jammerlappens wie Rick Dalton.

[Quentin Tarantino: Es war einmal in Hollywood. Roman. Übersetzt von Thomas Melle und Stephan Kleiner. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 416 Seiten, 25 €.]

Auch die Schwerpunkte, die Tarantino im Roman setzt, sind unverständlich. Einige der besten Szenen sind gestutzt, zum Beispiel Cliffs Besuch auf der Spahn Ranch, in der die Manson Family haust. Auch Sharon Tates Kinobesuch, bei dem sie sich verzückt auf der Leinwand betrachtet, verliert seinen unschuldigen Zauber. Überhaupt kommt Sharon Tate, die im Film die schönsten Szenen hat, im Buch am schlechtesten weg. Das Buch sei besser als der Film, gehört zu den Standards der Kritik. Tarantino hat nun ein kleines Kunststück vollbracht: „Once Upon a Time in Hollywood“ liest sich wie eine zusammengeschusterte Version des Films.

In den USA ist es Tarantino gelungen, seinen Verlag Harper-Collins davon zu überzeugen, „Once Upon a Time in Hollywood“ zuerst als Taschenbuch im Stil alter Pulpromane herauszubringen. Die deutsche Hardcover-Ausgabe mit den seidenen Initialen zeigt den großen Irrtum auf: Ein großer Schriftsteller ist Quentin Tarantino nicht.