Unions fette Party im Pokalfinale
Ronny Nikol hatte eine Wette mit seinem Friseur verloren. So erklärt der ehemalige Spieler des 1. FC Union den bunten Schnitt, mit dem er 2001 das DFB-Pokalfinale gegen Schalke bestritt. Als der damals 26-Jährige im Olympiastadion auflief, leuchtete die eine Hälfte seines Kopfes im gewohnten Wasserstoffblond, und die andere in einem hellen Orange, das vielleicht auch Union-Rot sein sollte. „Vor dem Halbfinale war ich beim Friseur, und er meinte: ’Wenn ihr ins Finale kommt, dann brauchen wir eine besondere Frisur’. Dafür muss man auch geradestehen“, sagt Nikol heute.
Ein besonderer Tag braucht eben eine besondere Frisur, und jener 26. Mai 2001 war für den 1. FC Union ein besonderer Tag. Neben dem FDGB-Pokalsieg 1968 und dem Aufstieg 2019 war es sportlich gesehen der wohl größte Tag der Vereinsgeschichte. Ein knappes Jahrzehnt vor dem hausgemachten Stadionumbau und 20 Jahre vor dem Einzug in die Conference League war es aber auch der Moment, an dem der noch kleine 1. FC Union erstmals so richtig Fuß fasste im gesamtdeutschen Fußballbewusstsein.
„Es war von Anfang bis Ende ein unfassbar schöner Tag,“ erinnert sich Marcus Klose, einer von etwa 20.000 Union-Fans, die damals in roten Perücken nach Westend pilgerten. Auch, wenn der historische Wetterbericht eher von Wolken erzählt, erinnert sich der damals 23-Jährige nur an Sonne und blauen Himmel.
“Staatfeinde” gegen “Meister der Herzen”
Der Nachmittag sei die Krönung einer ohnehin unglaublichen Saison gewesen, in der Union nicht nur das Pokalfinale erreichte und sich damit auch für den Uefa-Cup qualifizierte, sondern auch mit elf Siegen in Folge zwischen März und Mai den Aufstieg in die Zweite Liga schaffte. „Das Union-Triple 2001“, lacht Klose. Dass der Regionalligist sein Triple mit einem nationalen Titel krönen würde, galt als eher unwahrscheinlich.
Im Finale war Union der klare Underdog gegen eine Schalke-Mannschaft, die erste eine Woche zuvor im dramatischen Saisonfinale zum „Meister der Herzen“ geworden war. Trotzdem – oder gerade deswegen – glaubte Linksverteidiger Nikol an die Sensation. „Wir wussten, dass Schalke eine schwere Woche hinter sich hatte mit der Vier-Minuten-Meisterschaft. Wir sind schon reingegangen, um das Spiel zu gewinnen,“ sagt er.
Für Klose hingegen ging es nur um jene traumähnliche Atmosphäre, die nur ein Finaltag erzeugen kann. „Ich war noch nie so früh in der Kneipe“, sagt der Union-Fan, der sich schon um 10 Uhr morgens mit seinen Freunden am Senefelder Platz traf.
Wie auch an anderen Orten mischten sich dort Berliner und Gelsenkirchener in friedlicher Stimmung. „Es gab zwei Schalke-Fans, die ein bisschen ängstlich aussahen, als sie vorbeigelaufen sind und uns gesehen haben,“ sagt Klose. Auf Einladung setzten sich die Gäste dann aber am Tisch der Union-Fans hin, „und irgendwann meinten sie dann: ’Ey, ihr seid doch irgendwie total normal!’“.
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Es waren aber nicht nur die Schalker, die sich im Mai 2001 einen ersten Eindruck von den Köpenickern verschafften. „Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, hieß es, aber jeder Staatsfeind ist Union-Fan“, erklärte der heutige Regierungssprecher und damalige ZDF-Journalist Steffen Seibert in einem Beitrag über den leicht exotischen Pokalaußenseiter und seine Geschichte.
Das Ergebnis war “fünftrangig”
Und auch Ronny Nikol merkte, dass das mediale Interesse an den Verein einen neuen Höhepunkt erreichte. „Die Medien standen jeden Tag auf dem Trainingsplatz, was man als Drittligist nicht so kannte. Das war schon imposant“, sagt er. Unter der nationalen Lupe haben sich die Köpenicker aber auch gut verkauft.
Auch ohne Starstürmer Daniel Teixeira, den Trainer Georgi Wassilew überraschend auf der Bank ließ, waren sie in der ersten Hälfte überlegen. „Das war eine große Überraschung, weil Texas uns damals fast im Alleingang in die Zweite Liga geschossen hat. Doch der Schachzug ging fast auf“, sagt Nikol. Mit der „etwas agileren“ Doppelspitze von Bozidar Djurkovic und Harun Isa traf Union beim Spielstand von 0:0 gleich zweimal Aluminium.
In der zweiten Hälfte ging aber die Luft aus, als Jörg Böhme erst per Freistoß und dann per Elfmeter die entscheidenden zwei Tore für Schalke erzielte. Doch das Ergebnis war „fünftrangig“, sagt Klose. „Wir haben verloren, aber keiner war sauer“. Auch die Spieler konnten es verkraften: „Nachdem die erste Enttäuschung weg war, hat man es ordentlich krachen lassen“, sagt Nikol, der es nicht mehr ins Bett schaffte, bevor er am nächsten morgen am Balkon des Roten Rathauses mit seinen Mitspielern feiern ließ.
Der Underdog hatte trotz der Niederlage mit seinem Finalauftritt Ruhm geerntet. „Danach ging es los mit Pokalsieger der Herzen und so einem Kram“, sagt Klose. Von solchen Klischees halte er nichts, und trotzdem fühlte es sich wie ein Sieg an, als auch er nach dem Spiel in die Kneipe ging, um weiterzufeiern. „Das war eine nicht enden wollende Party“, sagt er. „So wie dieser Pokaltag begann, so endete er auch: mit einem mega breiten Grinsen und eine große Ungläubigkeit.