Natalie Geisenberger schließt zu Claudia Pechstein auf

Es waren Tränen des Glücks, vor allem aber der Erleichterung, die Natalie Geisenberger am Dienstag weinte. „Es ist wahnsinnig viel Druck abgefallen, weil ich bei Kurve 13 ein deutliches Unsicherheitsgefühl hatte. Dass ich jetzt wieder ganz oben stehe, dass ich jetzt meine fünfte olympische Goldmedaille gewonnen habe – das ist noch nicht ganz im Kopf angekommen“, sagte die neue alte Olympiasiegerin, die im Einzel nach 2014 und 2018 zum dritten Mal hintereinander gewann. Mit dem fünften Olympiasieg insgesamt schließt sie zu Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auf, der deutschen Rekordhalterin bei Winterspielen.

Am Ende setzte sich die 34-Jährige deutlich vor der starken Teamkollegin Anna Berreiter und der Russin Tatjana Ivanova durch. Favoritin Julia Taubitz war tags zuvor gestürzt und hatte keine Chance mehr auf den Sieg.

Emotional mitreißend war die Siegerehrung, denn für jede der drei Frauen ist diese Olympia-Medaille ein riesiger persönlicher Triumph: für Ivanova nach einer schweren Verletzung, für Berreiter bei ihren ersten Spielen und für Geisenberger, die im Mai 2020 ihren Sohn Leo zur Welt brachte.

Allein schon die Konstellation vor dem Rennen war eine Geschichte für sich. Olympiasiegerin und Trainingsbeste gegen Weltmeisterin und Gesamtweltcupgewinnerin oder eben Geisenberger gegen Taubitz – das Duell hat in dieser Saison noch einmal an Schärfe zugenommen, rein sportlich allerdings.

Die erfahrene Rodlerin aus Miesbach und ihre aufstrebende Herausforderin aus Annaberg-Buchholz kommen gut miteinander aus, trotz aller Rivalität und der Tatsache, dass Taubitz längst nicht mehr aufschauen muss zur Überfahrerin des letzten Jahrzehnts. Beide begegnen sich mittlerweile auf Augenhöhe, in dieser Saison hat Taubitz sogar öfter gewonnen.

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Deutlich komplizierter stellte sich dagegen das Verhältnis zu der neuen Olympiabahn in den chinesischen Bergen dar. Taubitz durfte im Herbst 2019 bei der sogenannten Homologierung des Eiskanals, also der technischen Freigabe durch den Weltverband, als erste Rodlerin überhaupt dort fahren – anstelle der schwangeren Geisenberger.

Und beide fühlten sich damit komplett wohl, die eine auf der neuen Bahn, die andere mit ihrer neuen Rolle. Sportlich gesehen war Taubitz aber im Vorteil, sofern sich das bei dieser so langen wie tückischen Bahn überhaupt sagen lässt.

Natalie Geisenberger war auf der Bahn zweimal gestürzt

Jeder Eiskanal hat seine neuralgische Stelle. In Yanqing ist es Kurve 13, die selbst eine Olympiasiegerin zittern lässt. „Ich habe ganz schlecht geschlafen und fast noch gar nichts gegessen, war total nervös. Gar nicht wegen dem Rennen, sondern wegen der Kurve, die wirklich so schwierig ist“, sagte Geisenberger nach den ersten zwei Läufen. Sie lag da in Führung, doch anders als Taubitz hatte sie mit der Bahn von Anfang an gefremdelt. Im Weltcup im November ist sie in Kurve 13 gestürzt, beim olympischen Abschlusstraining wieder.

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Und auch im ersten Lauf gab es einen bangen Moment. „Man hat gesehen, wie schnell es da unten gehen kann. Ich kenne das, ich bin in der Kurve im November im Weltcup gestürzt und auch im Training. Auch die wirklich guten Leute erwischt es dort“, sagte Geisenberger und meinte die Österreicherin Madeleine Egle, die den Weltcup im November hier gewann und als einzige ernsthafte Konkurrentin des deutschen Duos galt. Und sie meinte Taubitz. „Ich habe mir den Sturz von Julia noch angeschaut, eigentlich um mir Sicherheit zu holen und um irgendjemanden zu sehen, der da blitzsauber durchfährt“, erzählte Geisenberger.

Denn Taubitz ist mit der Bahn immer sehr gut zurechtgekommen, auf jeden Fall mit Kurve 13. Und dann das! Nach Bahnrekord im ersten Lauf machte sie am Montag einen Fahrfehler, so erklärte das Bundestrainer Norbert Loch, und stürzte – auch aus allen Medaillenträumen.

Julia Taubitz versuchte am Tag nach dem Missgeschick eine Aufholjagd, doch ihr fehlte die Lockerheit. Taubitz, die Strahlefrau im deutschen Team und stets mit einem Lächeln im Gesicht, war untröstlich – und immer wieder den Tränen nahe. „Mein Ziel war ein Andenken von Olympia mitzunehmen. Wer weiß, wo ich in vier Jahren stehe“, sagte Taubitz, die nach dem, wie sie sagt, versöhnlichen vierten Lauf das Lächeln wiedergefunden hatte, zumindest ein gequältes. Am Ende behielt Natalie Geisenberger recht mit ihrer Vermutung, „dass die, die viermal sauber runterfahren, ganz vorne dabei sein werden“.