Ukrainer in Rudolstadt
9./10. Juli 2022
„Das ist doch der geile Typ mit dem Didgeridoo, hast Du den schon mal gehört?“, fragt die Frau am Nebentisch ihren Partner. Gerade erst bin ich angekommen, habe mich kurz mit einer Tasse Kaffee hingesetzt – und schon spüre ich, wie alles hier vibriert, Musik spielt überall! Rudolstadt, ich hab Dich vermisst!
Im Zug wollte ich mir das neue Video von Maxim Rozenfeld anschauen. Er ist der bekannteste Stadtführer Charkiws, seine Führungen sind legendär, es gibt kein Gebäude im Zentrum der Stadt, über das er nicht eine packende Geschichte erzählen könnte, denn Maxim ist eine wandelnde Enzyklopädie und ein begabter Erzähler. In seinem neuesten YouTube-Video zeigt er die Ecken unserer Heimatstadt, die in den letzten Monaten durch russische Bombenangriffe zerstört worden sind.
Wir spielen eine Nummer aus dem Stück „Songs For Babyn Yar“
Doch dann kam der Anruf eines guten Bekannten, der mich im Namen einer mit im befreundeten deutschen Band fragte, ob ich bei ihrem neuen Song mitmachen wolle. Die Verbindung war schlecht, also schickte er mir eine Mail.
Die Band sei von den Ereignissen in der Ukraine schockiert und würde gern ihre Fans in russland ansprechen, stand drin. Auch der Text des Liedes, den wir zusammen singen sollten, war dabei: „Natascha, Du warst so gut zu mir/ Natascha, was ist denn passiert?/ Du hast alles ruiniert!“ Ich schrieb zurück, äußerte Zweifel, dass ein solcher Song russische Fans wachrütteln könne und sagte höflich ab.
Im Künstlerbüro des Rudolstadt Festivals treffe ich Svetlana Kundish. Auf unseren Festivalpässen steht „Konzert für die Ukraine. Mariana Sadovska & Friends“. Das macht mich stolz, denn mit Mariana zu spielen ist eine große Ehre. Bevor wir uns kennengelernt haben, war ich schon ein großer Fan ihrer Musik.
2021 entwickelten Sveta, Mariana und ich mit der britischen Organisation Dash Arts das musikalisch-theatralische Stück „Songs For Babyn Yar“, das wir im Dezember auch nach Kiew gebracht haben. Nicht mal im Alptraum hätten wir uns damals vorstellen können, dass Babyn Yar, wo 1941 das größte Massaker an Juden während des Zweiten Weltkrieges stattfand, wenige Monate später von russischen Raketen beschossen werden würde, dass ukrainische Holocaust-Überlebende sich wieder vor Bombenangriffen verstecken müssen. Bei unserem Konzert in Rudolstadt möchten wir eine Nummer aus den „Songs For Babyn Yar“ spielen.
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Es ist nur ein kleiner Teil des Programms, das Mariana für den Samstagabend vorbereitet hat. Am Auftritt nehmen 20 Musiker*innen teil, eine Art musikalische Nationalmannschaft der Ukraine (Mariana nennt uns Musikbataillon). Manche von uns, wie Sadovska, Tamara Lukasheva oder die Berlinerinnen Ganna Gryniva und Viktoria Leleka leben bereits seit Jahren in Deutschland, Melanka Piroschik aus Leipzig ist hier sogar geboren. Aber es gibt auch solche, die erst in den letzten Monaten hergezogen sind, wie die Sängerinnen von Dyvyna, die 2014 aus Donezk, und im März aus Kiew fliehen mussten.
Um an diesem besonderen Konzert teilzunehmen, ist das Duo Kurbasy extra aus Lwiw eingereist, man sieht den beiden Sängerinnen bei der Probe an, wie emotional überfordert sie sind, vor allem als wir das Stück „Where Are You From?” üben, die Vertonung eines Gedichts von Serhij Zhadan: „Eisen und Stein formte die Stadt, die einst hier stand./ Jetzt fliehen wir mit einem Koffer in der Hand. / Einem Koffer voll Asche, der Abfall der Artillerie/ Brandgeruch tränkt unsere Träume wie nie.“
Auch das Festivalpublikum ist bewegt als unser Musikbataillon am späten Samstagabend die Bühne betritt. Die Zuschauer*innen bleiben die ganzen zwei Stunden da, obwohl unsere Musik sicher nicht jedermanns Sache ist und nicht unbedingt fröhlich klingt. Auch bei einem kurzem heftigen Regenschauer geht kaum jemand. Und selbst wenn nur wenige im Publikum Ukrainisch sprechen, bin ich mir sicher, dass alle heute verstehen, wie vielfältig ukrainische Musik, ukrainische Kultur ist. Wir wissen, was wir verlieren können. Wir wissen, wofür wir in diesem Krieg kämpfen.
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