Tennis-Weltranglistenerste Barty beendet Karriere mit 25 Jahren
Es gibt dieses Foto von Ashleigh Barty. Sechs Jahre ist sie darauf alt und strahlt im langen, dunklen Tenniskleidchen in die Kamera. In der einen Hand hält sie einen viel zu großen Tennisschläger, in der anderen einen Pokal. 2019, als sie die French Open und damit ihren ersten Grand-Slam-Titel gewann, wurde diese Bild zum Hit bei Social Media. Bartys Landsmann Nick Kyrgios schrieb dazu: „Es hat sich nichts geändert. Du hast bei den Junioren dominiert und jetzt gewinnst du Slams.“
2021 und 2022 folgten weitere Titel bei den wichtigsten Turnieren der Welt. Erst erfüllte sich Barty den Traum vom Wimbledonsieg, vor zwei Monaten wurde sie mit ihrem Triumph in Melbourne endgültig zur australischen Nationalheldin. Das ganze Land lag ihr zu Füßen. Doch dieses Land steht nun unter Schock, denn am Mittwoch gab Ashleigh Barty völlig überraschend ihren Rücktritt vom Tennis bekannt.
In einem Instagram-Video erklärte sie im Gespräch mit ihrer früheren Doppelpartnerin Casey Dellacqua, dass sie „verbraucht“ sei und deswegen aufhören werde. „Ich habe das nicht mehr in mir. Den physischen Antrieb, dieses emotionale Verlangen und alles, was es braucht, um dich selbst der absoluten Spitze zu stellen“, erklärte sie, wohlwissend, dass es Menschen gibt, die ihren Entschluss nicht nachvollziehen können. Aber: „Ich habe alles gegeben und das ist für mich Erfolg. Ich bin sehr glücklich damit.“
Welche Popularität Barty in ihrer Heimat hat, zeigt allein die Tatsache, dass der australische Premierminister Scott Morrison die Tennisspielerin noch am Mittwoch selbst anrief und seinen Respekt für ihre große Karriere persönlich zum Ausdruck brachte. Bei Twitter schrieb Morrison später: „Danke, dass du die Nation inspiriert hast. Du hast einfach Klasse.“
Auch aus der Tennisszene selbst kamen überraschte Reaktionen. „Oh nein“, twitterte Deutschlands Frauentennis- Chefin Barbara Rittner und twitterte: „Wir werden dich und deine Art, zu spielen vermissen.“ Rittner hatte er erst vor ein paar Tagen erklärt, dass sie in ihrer Funktion als Turnierdirektorin des Berliner Rasenevents im Juni alles versuchen werde, um Ashleigh Barty ins Steffi-Graf- Stadion zu holen.
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Den Fans in Berlin wird ohne Ashleigh Barty etwas fehlen. Doch nicht nur wegen ihrer unangefochtenen Position als Nummer eins war sie sportlich eine Ausnahmeerscheinung. Auch Bartys Spielweise hob sie wohltuend vom zuweilen recht eintönigen Grundlinien-Powertennis ab, das auf der Frauentour dominiert. Barty, nur 1,66 Meter groß, begeisterte mit großer Spielintelligenz und dem Mut, häufiger auch mal ans Netz vorzurücken. Ihre Schläge waren nicht die härtesten, dafür ungemein präzise. Und ihr Rückhand-Slice suchte bei den Frauen seinesgleichen.
Dabei wusste sie schon früh, was sie wollte. Als ihre beiden älteren Schwestern sich für Netball begeisterten, konnte sie damit nichts anfangen, weil es ein „Spiel für Mädchen“ sei, wie ihr Vater Robert einst erzählte. Ihr Jugendcoach Jim Joyce erinnerte sich daran, wie die kleine Ash mit viel älteren Jungs trainierte, weil sie so gut war. Und dass sie es auch in anderen Sportarten weit gebracht hätte, weil sie die Dinge so schnell aufgenommen habe.
Als Barty immer besser wurde, begann sie internationale Turniere zu spielen und reiste als 14-Jährige ohne ihre Eltern um die Welt. Zunächst mit Erfolg, 2011 siegte sie in der Juniorinnenkonkurrenz von Wimbledon. Mit gerade einmal 15 spielte sie bei den Australian Open ihr erstes Grand-Slam-Turnier bei den Frauen, nur ein Jahr später stand sie mit Casey Dellacqua in der Doppelkonkurrenz von Melbourne bereits im Endspiel.
Doch der Preis, den die Teenagerin für den frühen Ruhm zahlen musste, war zu hoch. Mit 16 lebte sie allein in einem Melbourner Apartment, in der Saison, in der sie 17 wurde, verbrachte sie ganze 27 Tage zu Hause. „Ich wurde zu einem Opfer meines eigenen Erfolges“, sagte sie später und erklärte so ihre Auszeit , die sie sich im Jahr 2015 nahm. Eine Auszeit vom Tennis, denn Barty probierte es in dieser Zeit als professionelle Cricketspielerin und zeigte auch hier viel Talent.
Doch das für Tennis war einfach größer und auch wenn sie selbst keine Wettkämpfe mehr auf höchstem Niveau bestritt, blieb sie dem Spiel dennoch verbunden. Und als sie eines Tages ihrer Freundin Casey Dellacqua bei einem Turnier in Sydney zuschaute, wuchs in Barty der Wunsch, es noch einmal zu probieren. „Ich habe mir einen ihrer Schläger genommen und wusste: ‚Das bin ich. Das ist es, was ich tun sollte.’“
Barty brauchte eine Weile, um sich an die Spitze zu spielen. Zunächst gelang ihr das im Doppel, wo sie bis 2017 bereits bei jedem Grand-Slam-Turnier das Finale erreicht hatte und 2018 schließlich die US Open gewann. Danach nahm auch ihre Einzelkarriere Fahrt auf, nach dem Titel in Paris und einem weiteren in Birmingham wurde sie im Juni 2019 zur Nummer eins der Weltrangliste. Insgesamt holte sie 15 Turniersiege, in Wimbledon wurde im vergangenen Sommer schließlich ihr größter Traum wahr.
Doch Barty war mehr als nur eine gefürchtete Gegnerin auf dem Tennisplatz. Tatsächlich blieb sie abseits der Courts immer authentisch und umgänglich. Skandale sind von ihr nicht überliefert und stets legte sie großen Wert auf ihre Herkunft. „Die Abstammung von den Ureinwohnern ist etwas, dass ich ganz fest in meinen Herzen halte“, sagte sie einmal. Barty stammt über ihre Urgroßmutter väterlicherseits von den Ngarigo-Aborigines ab.
„Ich hatte immer diesen olivfarbenen Teint und die eingedrückte Nase und mir war es stets wichtig, das Beste zu geben und ein gutes Vorbild zu sein“, erzählte Barty. Mit ihrer sympathischen Art eroberte sie die Herzen der Australier im Sturm, im Januar feierten ihre Landsleute nach dem Titelgewinn in der Rod-Laver-Arena dann die große „Barty-Party.“
Auch deswegen mag in ihrer Heimat noch keiner wirklich glauben, was Ashleigh Barty am Mittwoch verkündete. „Ich bin so dankbar für alles, was Tennis mir gegeben hat. Es hat mir alle meine Träume erfüllt, und mehr“, sagte sie, um dann klar zu machen: „Aber ich weiß, die Zeit ist reif dafür zurückzutreten und anderen Träumen nachzujagen.“
Welche das sein werden, will Barty zu gegebener Zeit mitteilen. Jetzt sei für sie wichtig, „dass ich diese nächste Phase meines Lebens genießen kann als Ash Barty, der Mensch. Nicht als Ash Barty, die Athletin.“