Sterben, aber lustig

Murphy, genannt Murr, ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Berufsempfehlung schon zu Jugendzeiten: Bandit. Das ist er dann auch geworden, und im Gegensatz zu seiner Umwelt ist er selbst mit der Entscheidung glücklich. Bis er am Strick baumelt und der Sensenmann vor ihm steht. „Da fehlt doch noch ein halbes Leben!“ Das fehlt bekanntlich immer, aber „ich mache die Termine nicht“, bescheidet ihm der Sensenmann.

Josephine Mark.Foto: Stefan Pannor

Der Tod ist allgegenwärtig in Josephine Marks bislang zwei Graphic Novels. Eher abstrakt in „Murr“ (Zwerchfell, 118 S., 15 €), der Outlaw-Story, in der der Bandit letztlich einen Deal mit dem Tod macht wie der Ritter in Bergmanns „Das siebente Siegel“ – aber nicht für sich, sondern für sein getreues Reittier, das doch bitte noch ein wenig länger leben soll.

Deutlich gegenwärtiger in „Trip mit Tropf“ (Kibitz, 192 S., 20 €), wo ein Hase mit Krebserkrankung zu einem Roadtrip gezwungen wird, gehetzt von einem Jäger und beschützt, ausgerechnet, von einem Wolf.

Obwohl der Comic ein funny animal ist, also ein Comic mit sprechenden Tieren, und wie „Murr“ sehr funny ist, ist es kein Funny-Animal-Krebs, um den es da geht, sondern ein sehr realer. Mit ekelhaft viel Medikamenten, mit infolgedessen Haarausfall, Nasenbluten, Schwächeanfällen und entzündetem Zahnfleisch.

Warum soviel Düsternis in so viel Spaß? „Die Beschäftigung mit Krankheit und Tod findet viel zu wenig in unserer Gesellschaft statt“, sagt Josephine Mark im Gespräch. „Ich glaube, die Welt ist getrennt in die Gesunden beziehungsweise die Nochgesunden und die Leute, die in irgendeiner Weise etwas mit ihrem Leben erlebt haben.“

Alles wird anders beim Blick in den Abgrund

Die Zeichnerin, geboren 1981 in Naumburg an der Saale und seit vielen Jahren in Leipzig lebend, weiß, wovon sie spricht. Kurz vor Beginn der Arbeit an „Trip mit Tropf“ hat sie im Sommer 2019 ihre eigene Krebsdiagnose erhalten. Vorsichtig nachgefragt: Will sie darüber reden? Ja, aber „mir ist wichtig, dass das Buch nicht als so ein Krankheitsbuch wahrgenommen wird, mit ‘Sie hatte eine schlimme Phase und dann war alles wieder gut’. Das ist halt nicht so.“

Das Titelbild von „Trip mit Tropf“.Foto: Kibitz

Nein, gut wird da nichts, zumindest nicht so gut wie vorher. In „Murr“ wirft der Tod, das gemeine Schicksal, dem Banditen immer wieder Stöcke zwischen die Füße. Am Ende ist Murr ein anderer.

In „Trip mit Tropf“ geht die Krebserkrankung des Hasen so gut aus, wie sie halt gut ausgehen kann, wenn sie behandelt wird: als Möglichkeit zum Neustart, nicht als Rückkehr in das Leben davor.

Alles wird anders beim Blick in den Abgrund. Mark: „Wenn man so eine Krankheit hat, wenn man einmal so in diesen Raum hinein geblickt hat oder noch drin ist, dann erweitert es das eigene Bewusstsein, sich selbst gegenüber, aber auch den Mitmenschen.“

[„Trip mit Tropf“ ist aktuell für einen Max-und-Moritz-Preis nominiert. „Murr“ für einen ICOM Independent Comic Preis. Die Auszeichnungen werden beim Internationalen Comic-Salon Erlangen (16.-19.6.) vergeben. Dort gibt es auch eine Lesung von Josephine Mark und Ralf König aus dem Buch, Signierstunden mit der Zeichnerin und eine Gruppenausstellung, in der sie vertreten ist.]

Es gibt wenige andere deutsche Comics, die sich mit dem Thema Tod auseinandersetzen, unter anderem „Sterben ist echt das Letzte!“ von Eva Müller (Schwarzer Turm, 160 S., 12 €)

Das Titelbild von „Murr“.Foto: Zwerchfell

Aber anders als Müllers ernsthaft-melancholische Meditation sind Marks Bücher tatsächlich sogar dann noch komisch, wenn sie es eigentlich nicht mehr sein sollten. Wenn der Wolf und der schwerkranke Hase samt Tropf vor einem durchgeknallten Jäger auf Rachetrip für seinen verstorbenen Dackel fliehen, dann ist das zuallererst rasanter Slapstick, schnell geschnitten, mit dickem Strich und in knalligen Farben.

Aber auch mit zunehmend düsterer Note. In winterlicher Landschaft, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, ist der finale Überlebenskampf von Hase und Wolf bei allem Humor so existentiell wie der Streit von Murr mit dem Tod um das Leben seines Pferds. Existenziell aber nicht verzweifelt. Mark: „Das Leben wirft einem eben manchmal die Chance hin, sich zu beweisen, und ich glaube, die sollte man nutzen.“