So tief steckt Spotify in der Krise
Was wäre das für eine sinnbildliche Allianz, die da am Dienstag gerüchteweise durch die Sportnachrichten geisterte. Der Streamingdienstanbieter Spotify will offenbar als Hauptsponsor beim spanischen Traditionsclub FC Barcelona einsteigen.
Hier ein Unternehmen, das derzeit massiv mit Imageproblemen zu kämpfen und dessen Börsenwert sich innerhalb eines Jahres halbiert hat. Dort ein hochverschuldeter Fußballverein, dessen legendärer Ruf nur noch von Erfolgen der Vergangenheit zehrt.
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Laut „Radio Catalunya“ umfasst der Deal sowohl die Trikotwerbung bei den Frauen- und Männerteams als auch die Namensrechte für das legendäre Stadion Camp Nou. 280 Millionen Euro soll dem Audio-Streaming-Dienstleister das Paket für drei Jahre Sponsorenschaft Wert sein.
Während der spanische Verein zuletzt seine Ausgaben für Spielergehälter drastisch reduzieren musste, steht Spotify schon lange wegen mickriger Verdienstmöglichkeiten der Künstler*innen in der Kritik.
Nachdem Neil Young aus Protest gegen den Spotify-Podcaster Joe Rogan vor zwei Wochen seine gesamte Diskografie von der Plattform entfernen ließ, rief der Musiker auf seiner Homepage nun auch die Mitarbeiter des Streamingportals zur Kündigung auf: „Verlasst diesen Ort, bevor er eure Seele auffrisst“.
100 Millionen für einen Podcast
Nicht Rogan sei das Hauptproblem, schrieb Young, sondern Daniel Ek, der Geschäftsführer von Spotify. „Die einzigen von Ek genannten Ziele handeln von Zahlen – nicht von Kunst, nicht von Kreativität“. Er forderte auch andere Musiker*innen dazu auf, sich neue Ausspielmöglichkeiten zu suchen. Die Klangqualität von Spotify hatte er schon in der Vergangenheit als „beschissen“ und „degradiert“ bezeichnet.
Derweil hat die britische Rockband The Pocket Gods angekündigt, dass ihr neues Album aus Protest gegen Spotify 1000 Songs umfassen werde, die jeweils lediglich 30 Sekunden lang sein sollen. Mit diesem Schritt will die Gruppe auf das unfaire Bezahlsystem der Plattform aufmerksam machen, das Lieder erst abrechnet, wenn diese die Grenze von einer halben Minute überschreiten.
Selbst dann verdienen Künstler*innen auf der Plattform nur ungefähr 0,004 Euro pro Abruf. Der vielsagende Titel des The-Pocket-Gods-Albums lautet „1000×30 – Nobody Makes Money Anymore“.
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Das jedoch trifft bei Spotify nur auf Musiker*innen zu. Als das Unternehmen sich 2020 die Exklusivrechte an „The Joe Rogan Experience“ sicherte, war das den Verantwortlichen 100 Millionen Dollar wert. Um auf diese Summe zu kommen, müsste man alle 82 Millionen verfügbaren Songs auf Spotify jeweils 300 Mal anhören.
Ausgerechnet das lukrative Podcast-Geschäft wird zum Verhängnis
Die Plattform hat viel Geld in das Podcast-Geschäft gesteckt, weil man hier auf hohe Werbeeinnahmen hofft. 2016 startete „Fest & Flauschig“ mit Jan Böhmermann und Olli Schulz als weltweit erster Spotify Exclusive Podcast. 2019 erwarb man die Podcast-Dienste Anchor (für 115 Millionen Euro) und Gimlet (189 Millionen). 2020 folgten das Netzwerk The Ringer (160 Millionen) und der Vertriebsservice Megaphone (193 Millionen).
Ende 2021 waren bei Spotify 3,6 Millionen Podcasts verfügbar. Prominente wie Barack und Michelle Obama, Bruce Springsteen oder Prinz Harry und seine Frau Meghan haben eigene Sendungen.
Ausgerechnet das lukrative Podcast-Geschäft wird Spotify nun zum Verhängnis. Dutzende Folgen von „The Joe Rogan Experience“ wurden gelöscht. „Joe Rogans Kommentare sind nicht nur unglaublich verletzend, ich möchte auch klarstellen, dass sie die Werte unseres Unternehmens nicht repräsentieren“, soll Ek in internen Nachrichten dargelegt haben, fügte aber hinzu: „Ich glaube nicht, dass die Antwort ist, Joe zum Schweigen zu bringen.“
US-Musikerin India Arie, die kürzlich ebenfalls ihre Musik von Spotify entfernen ließ, entgegnete: „Worüber ich spreche, ist Respekt – wer ihn bekommt und wer nicht. Man bezahlt Musikern den Bruchteil eines Pennys? Und ihm 100 Millionen Dollar? Das zeigt, was für eine Art von Unternehmen sie sind.“
Die Umfrage eines Marktforschungsinstituts ergab, dass ein Fünftel der Spotify-Kunden aufgrund der jüngsten Ereignisse ihr Abo gekündigt hätten oder dies planen. Ein weiteres Fünftel denke darüber nach, sollten mehr Künstler*innen ihre Musik zurückziehen. Durchaus möglich, dass der FC Barcelona im Estadio Spotify bald gemeinsam mit seinem Sponsor um den Abstieg kämpft.