Tanzen, rappen, dichten
Emma tanzt. Nein, sie gleitet, hebt anmutig den Arm, dreht eine Pirouette auf dem Asphalt, und Mimmi schaut, ist ganz hier und jetzt und verliert ihr Herz. Ein magischer Moment, nicht nur für die beiden jungen Frauen aus dem finnischen Film „Girl Picture“, der im Wettbewerb von Generation 14plus läuft. Und noch eine Szene, diesmal aus dem irischen „A Quiet Girl“ im Kinderprogramm Kplus: Jeden Tag rennt die neunjährige Cáit so schnell sie kann zum Briefkasten und Seán stoppt die Zeit. Das zarte Mädchen verbringt den Sommer bei Verwandten und erlebt etwas, was sie nicht kennt, nämlich Fürsorge und Geborgenheit. Am liebsten möchte sie für immer bleiben, doch langsam werden die Tage kürzer.
Glückseligkeit und Trauer, Lebenslust und Erstarrung – die Sektion Generation nimmt in ihren Kinder- und Jugendprogrammen Kplus und 14plus junge Menschen in den Blick. Ab Donnerstag kann man im Haus der Kulturen der Welt wieder in ihre Geschichten eintauchen, lachen, weinen, andere Lebenswelten und Sichtweisen kennenlernen – wenngleich unter strengen Auflagen: Der Ticketverkauf findet online statt, im Kino gilt das das 2G-Plus-Maske-Plus-Test-Modell.
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Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren benötigen für den Kinobesuch jedoch nur einen digital prüfbaren Antigen-Schnelltest, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Dafür lockt die Generation mit insgesamt internationalen 52 Kurz- und Langfilmen, darunter viele Dokus aber auch Animationsfilme wie der Puppentrickfilm Knor, der Generation Kplus eröffnet.
Fast könnte man Corona vergessen
Jugendliche oder Kinder, die eine Maske tragen, sind auf der Leinwand dagegen kaum zu sehen. Fast könnte man Corona vergessen, stehen doch in den Filmen andere Dinge im Vordergrund: Wer bin ich? Was will ich? Wen will ich lieben? Es sind alterstypische Fragen und es ist schön zu sehen, dass sich zwei Mädchen ineinander verlieben und niemand das – sie am wenigstens – das in Frage stellt.
Im Lichte der Pandemie scheinen die jungen Protagonist*innen aber mehr denn je ihre Körperlichkeit auszuleben und nach eigenen Ausdrucksformen zu suchen. Michelle in der Doku „Allons enfants“ glaubt etwa, dass sich niemand für sie interessiere. „Es ist schrecklich, unsichtbar zu sein“, sagt sie.
Aber wenn sie tanzt, ist sie voll da und verliert ihre Scheu. Sie besucht in Paris das Lycée Targot, das Schüler*innen unterschiedlicher Milieus auf das Abitur und eine Tanzkarriere vorbereitet. So wirkt dieser dynamische Eröffnungsfilm von Generation 14plus geradezu programmatisch. Denn auch in anderen Filmen wird getanzt, gerappt, gesungen, gedichtet.
Manu rappt sich Scham und Schuldgefühle von der Seele
Der 16-jährige Manu in „Sublime“, Bassist in einer Schüler-Rockband, schafft es lange nicht auszusprechen, dass er sich in seinen besten Freund verliebt hat, aber er kann es in einen Song packen. Pascal aus Hellersdorf, um den es in der Langzeitbeobachtung „Kalle Kosmonaut“ geht, ist auf die schiefe Bahn geraten. Frust, Scham und Schuldgefühle rappt er sich von der Seele.
Auch im Kinderprogramm Kplus versuchen Mädchen und Jungen, einen Umgang mit schwierigen Situationen zu finden. So wie Sascha, die die titelgebende „Comedy Queen“ werden will. Seit dem Suizid ihrer Mutter lacht ihr Vater nicht mehr. Damit das nicht so bleibt, versucht sie sich als Stand-up-Comedian und kommt sich damit selbst ein Stück näher.
Es ist nicht immer einfach, groß zu werden, und oft genug stehen den Heranwachsenden äußere Dinge im Wege: etwa harsche Asyl-Bestimmungen, mit denen die 17-jährige Kurdin Sarya in „My Small Land“ konfrontiert wird. Japan ist für sie längst Heimat geworden, als das Asylgesuch ihrer Familie abgelehnt wird. Schule, der Job im Supermarkt, ihre Zukunft stehen für sie auf der Kippe und sie fragt sich, wer sie ist und wo sie hingehört.
Eine Zwölfjährige lernt, ihre Familie anders zu sehen
Vor allem im Kinderprogramm Kplus spielt immer auch die Auseinandersetzung mit der Familie eine Rolle, etwa im iranischen „The Apple Day“, dessen Plot ein wenig an Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“ erinnert oder im südkoreanischen Spielfilm „The Hill of Secrets“, in dem sich eine Zwölfjährige für ihre Familie schämt und schließlich lernt, sie mit anderen Augen zu sehen.
„Wir wollen auch Filme über authentische Kinder und Jugendliche in echten Situationen zeigen“, sagt Maryanne Redpath, die Generation seit 2008 leitet und sich nun nach fast 30 Jahren mit dieser Ausgabe verabschiedet. Oft wurde kritisiert, dass die Filme der Sektion zu hart oder zu traurig, schlichtweg nicht altersgerecht seien. „Kinder wollen aber nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen-Filme sehen, sondern mit Wahrheiten konfrontiert werden“, hat Redpath in vielen Gesprächen mit jungen Zuschauer*innen erfahren.
Die jungen Menschen geben freimütig Einblicke in ihr Innenleben
Auch deshalb läuft bei Kplus die Doku „Boney Piles“, der den Krieg in der Ostukraine thematisiert und Nastya durch eine versehrte Landschaft folgt, die aus einem Tarkowski-Film stammen könnte. Die 15-Jährige hat Vater, Kindheit und Vertrauen in die Welt verloren, aber nicht ihre Träume. Es erstaunt, wie reflektiert die jungen Menschen in den Dokus über sich sprechen, wie freimütig sie Einblicke in ihr Innenleben gewähren. Entscheidend sei jedoch, so Redpath, dass sie nie bloßgestellt werden, weder im fiktiven noch in dokumentarischen Filmen.
„Ich bin immer auf der Suche nach neuen, jungen Stimmen“, sagt Maryanne Redpath, die die Sektion auch „als eine Plattform für junge Filmschaffende“ versteht. Umso mehr freut es sie, dass in diesem Jahr mit Carla Simón, Kamila Andini und Li Ruijun drei Regisseur*innen im Berlinale-Wettbewerb vertreten sind, die bereits zuvor ihre Filme bei Generation präsentiert haben. Aber die Sektion ist mehr als ein Sprungbrett. Sie bietet inhaltlich anspruchsvolles und formal vielfältiges Kino, das junge Menschen und ihre Belange sichtbar macht.