Öffentliche Privatsache
„Pass auf, dass Du nicht zu sentimental wirst. Nicht zu viel Gefühl reinbringen“, rät Lang Langs Lehrerin und Vertraute Zhu Yafen dem Ausnahmepianisten in einer 3sat-Dokumentation, die den Weltstar bei der Erarbeitung der Bach’schen Goldberg-Variationen begleitet – ein lebenslanger Traum. Es sind diese Goldberg-Variationen, die der chinesische Pianist am Mittwoch in der Berliner Philharmonie zum Besten gibt, er selbst spricht von einer „Ehre für mich, nach Berlin zurück zu kommen“.
Doch bevor er Johann Sebastian Bachs anspruchsvolles Klavierwerk erklingen lässt, präsentiert Lang Lang die Arabeske in C-Dur von Robert Schumann: sensibel, spielerisch in der Leichtigkeit und im Duktus jener berühmten Träumerei des Komponisten. Lang Lang gelingt, es eine gewisse Kühle im Ausdruck mit intimer Sensibilität zu verbinden. Dabei bringt er – unstet drängend – Wunsch wie Sehnsucht mit Traum und Abgrund zusammen, ganz der Romantik verpflichtet. Und jenem Robert Schumann, der neben Felix Mendelssohn Bartholdy zu den großen Wiederentdeckern Bachs im 19. Jahrhundert zählt.
Genauso intim beginnt der Pianist mit der „Aria“ der Goldberg-Variationen, obgleich er während des Spiels immer wieder mit teils forschen Zwischentönen überrascht, manchmal irritiert. Man spürt deutlich, dass alles, was Lang Lang an diesem Abend spielt, für ihn öffentliche Privatsache ist, seine ganz persönliche Sicht auf Bach, die er mit dem Publikum teilt.
Nur sich selbst und dem Augenblick verpflichtet, verliert er dabei jedoch so manches Mal die fein-verschlungene Gesamtstruktur der Goldberg-Variationen aus dem Blick. Und je weiter er sich „in“ das Werk hineinbegibt, desto persönlicher und physischer wird es: Zwischen zwei Variationen reißt er schnell den obersten Knopf am Hemd auf, senkt mit einem gekonnten Griff knackend die Klavierbank ab oder schwenkt im dramatischen Gestus die Faust.
Ein Zwiegespräch mit seinem Instrument entsteht, an dem das Publikum sehens- und hörenswert teilhat. Lang Lang beeindruckt im Folgenden immer wieder mit seinem technisch raffinierten Spiel – gerade auch in den heiter-leichten Passagen, die zu musikalisch-humorvollen Pointen geraten. Im Finale schließlich überzeugt er mit der gefühlvollen Wiederholung der „Aria“.
Am Ende eines kurzweiligen Abends sind Lang Langs Haare zerzaust, erschöpft schaut der Pianist in den Saal: Ein jubelndes Publikum dankt ihm mit stehenden Ovationen. Und weil ihn die Anerkennung sichtlich freut, begeistert er noch mit dem folkloristischen Lied „Jasmine Flower“ aus seiner chinesischen Heimat, genauer der Region Jiangnan. So schließt er vielleicht auch einen Kreis zu Bach und seiner Lehrerin: „Wann immer ich ein neues Stück von Bach lerne, fliege ich in meine Heimat zurück, um es Professor Zhu vorzuspielen. Erst dann verstehe ich das Stück.“
Wer tiefer in den Bach-Kosmos des Pianisten eintauchen will, dem sei die 60-minütige Dokumentation „Lang Langs Goldberg-Variationen“ von Andreas Morell wärmstens empfohlen, die man bei Youtube findet.