Abrüsten bitte: Das neue Präsidium der Berliner Akademie der Künste stellt sich vor
Ein Komponist und ein Architekt leiten jetzt die Berliner Akademie der Künste? Nicht ganz. Auffallend an der Wahl von Manos Tsangaris (67) und Anh-Linh Ngo (50) als Präsident und Vizepräsident der AdK ist zunächst der Umstand, dass beide vor allem als Organisatoren, Projektleiter, Publizisten und Lehrende tätig sind und weniger als Künstler einen Namen haben.
Der in Köln lebende, vielfach ausgezeichnete Kagel-Schüler Tsangaris – der sich nach eigenen Worten als Schöpfer sozialer Plastiken und sein Musiktheater als „szenische Anthropologie“ versteht – fungiert seit 2016 als Ko-Leiter der Münchner Biennale für Neues Musiktheater und lehrt seit 2009 an der Musikhochschule Dresden. Anh-Linh Ngo ist Publizist, Chefredakteur der Zeitschrift „Arch+“, Architekturpolitiker und Ausstellungsmacher. 2023 hat er den Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale Venedig mitkuratiert.
Als sich das neue Präsidium – die beiden lösen als reines Männer-Duo nach neun Jahren die Filmemacherin Jeanine Meerapfel und die Schriftstellerin Kathrin Röggla ab – im Akademiegebäude am Pariser Platz vorstellt, ist zuerst von den Herausforderungen der Gegenwart die Rede. AfD, Nahost, Mittelmeer-Flüchtlinge, die Asymmetrien nach der Wiedervereinigung („90 Prozent des ostdeutschen Grundbesitzes sind in westdeutscher Hand“, so Tsangaris): Der von den 407 AdK-Mitgliedern frisch gewählte Präsident bedauert es, dass im öffentlichen Diskurs Schlagworte, reflexartige Reaktionen und kollektive Schnappatmung vorherrschen.
Mehr und mehr international
„Wir müssen einander besser zuhören“, sagt Tsangaris. Ngo plädiert für Mehrstimmigkeit, für das Öffnen von Räumen. „Diskurs entsteht durch Gelegenheiten“, die Akademie müsse ein Ort sein, der solche Gelegenheiten bietet. Und wenn schon Debatte, dann bitte nicht nur in Form von Panels, und mit mehr Möglichkeiten zur Spontanität. Klingt gut, aber vage. Also was heißt das konkret, außer dass das Café im Behnisch-Bau von hinten nach vorne ins weitgehend leere Foyer umziehen könnte, näher heran an den Pariser Platz als Wohnzimmer der Republik?
Wir müssen einander besser zuhören.
Manos Tsangaris, Präsident der Akademie der Künste
Der Präsident und sein Vize bitten um Verständnis, dass sie nach nicht mal zwei Tagen im Amt noch keine alternativen Veranstaltungsformate parat haben. Die Akademie-Gespräche soll es ohnehin und unbedingt weiter geben: Für den Juli ist eine Podiumsdiskussion zur Verteidigung der Kunstfreiheit nach dem 7. Oktober anberaumt, noch ohne exaktes Datum. Und ohne, dass der auch in Deutschland grassierende Antisemitismus im Titel benannt wäre.
Die AdK ist in allererster Linie eine Künstlersozietät, die sich in letzter Zeit mehr und mehr internationalisiert hat. Vom Beitrag der Künste angesichts der aktuellen multiplen Krisen – und vor allem: von ihrem Recht darauf, keinen Beitrag leisten zu müssen, also dem Recht auf Zweckfreiheit – ist beim Pressegespräch am Montag nur kurz die Rede. Vielleicht ja eben deshalb, weil Tsangaris und Ngo anders als ihre Vorgänger:innen nicht in erster Linie als Künstler in Erscheinung treten. Die Künste, so Ngo immerhin, haben die Fähigkeit, die Sinne zu schärfen. So können sie auch das politische Subjekt stärken.
Die Akademie selbst erlebt gerade ebenfalls schwierige Zeiten. Tsangaris spricht von „nicht geringen“ Haushaltslöchern, ohne Zahlen zu nennen, erwähnt die anstehende Sanierung des Hauses am Hanseatenweg und die abgeschlossene Bedarfsplanung für ein zentrales Archivgebäude. Über all das sei man mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Gespräch. Die AdK wird seit 2004 vom Bund getragen.
Wie hältst Du es mit den Rechten
Nun hat sie laut Satzung explizit auch die Aufgabe, die Politik in kulturellen Dingen zu beraten – woraus sich der Auftrag ableiten lässt, für mehr Respekt und Differenziertheit bei öffentlichen Auseinandersetzungen zu sorgen. Haltung, Position beziehen, der Begriff Information (von „in Formation“): All das seien militärische Vokabeln, erklären die beiden. Also abrüsten bitte. Heißt das, die Akademie redet künftig auch mit Rechten, respektive: Vertretern von Rechtsaußen? Tsangaris verweist zumindest auf Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, der im AdK-„Journal“ für Streit und argumentative Konfrontation plädiert.
Sein Vize Anh-Linh Ngo hat sich allerdings nicht zuletzt durch klare Positionierungen hervorgetan. 2021 gehörte er zu den Erstunterzeichnern einer Protestnote gegen die Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin, auch zählt er zu den Schloss-Replik-Kritikern und hat den offenen Brief gegen die aktuelle Palast-der-Republik-Ausstellung im Humboldt Forum unterschrieben. „Fadenscheiniges Feigenblatt“, lautet dort der Vorwurf. Gleichwohl betont er, dass er als Sohn eines ins vietnamesische Umerziehungslager gesteckten Vaters Probleme mit den damals „Ho Ho Ho Chi Minh“ skandierenden Studentenprotestlern hatte. Denn der Name stand für Unfreiheit, für die Unterdrückung von Millionen Menschen.
Er bleibe bei seinen Projekten, sagt Ngo am Montag, auch wenn er als Vize-Präsident der Akademie der Künste nun anders agieren müsse. Klingt wie ein komplizierter Spagat.