Nachruf auf Trainerikone : Nick Bollettieri revolutionierte das Tennis – indem er den Drill einführte
Es war 1995 im Halbfinale bei den All England Championships in Wimbledon, als Boris Becker chancenlos war gegen Andre Agassi. Der US-Amerikaner war einst aus der Akademie des Trainer-Gurus Nick Bollettieri hervorgegangen. Nun betreute Bollettieri Agassis Gegner. Als Becker 2:6, 1:4 zurücklag und auf eine sichere Niederlage zusteuerte, erinnerte sich der Deutsche an die Worte seines Trainers: Agassi sei kaum zu schlagen, spiele man nur Tennis. Man müsse ihn mental zerstören.
Und so fing Becker auf dem heiligen Rasen plötzlich damit an, Agassis Freundin Brooke Shields Kusshände zuzuwerfen. Agassi, so berichtete er es in seiner Autobiografie „Open“, kochte innerlich. Und Bollettieri saß grinsend auf der Tribüne. Es kam, wie es kommen musste: Der bessere Spieler, Agassi, verlor gegen den fieseren, Becker.
Nick Bollettieri wurde nicht von jedem gemocht. Das wollte er auch nicht. Im Gegenteil. In einem Interview vor vielen Jahren sagte er einmal sinngemäß, dass man im Bemühen, von anderen geliebt zu werden, selbst nur scheitern könne. Karrieretechnisch hat er den Beweis dafür geliefert, dass an seiner These durchaus etwas dran sein könnte. Bollettieri ist der erfolgreichste Trainer, den es bislang im Tennis gegeben hat. Er trainierte zehn Spieler:innen, die es an die Spitze der Tennis-Weltrangliste schafften. Darunter Legenden des Sports wie eben Agassi, Becker oder Monica Seles.
Das Erstaunliche an Bollettieri war, dass er selbst nur ein mittelmäßiger Tennisspieler war. Seine Juristenausbildung brach er schnell ab, lieber stand er auf dem Tennisplatz und gab Trainingseinheiten, anfangs für drei Dollar die Stunde. Er tat es zunächst nur, um sich ein bisschen was zum Lebensunterhalt dazuzuverdienen. Doch Tennis wurde in den USA in den Siebzigern auch durch die Erfolge von Jimmy Connors und John McEnroe immer größer. Man konnte richtig Geld verdienen damit.
Große Hotels und Ressorts begannen, Tennisplätze auf ihren Anlagen zu errichten. Sie stellten Trainer wie Bollettieri ein. Der dachte schnell größer und gründete Anfang der Achtzigerjahre seine eigene Akademie in Bradenton im US-Bundesstaat Florida. Das damals Besondere an der Bollettieri-Akademie: Sie bot ein Rundum-Programm für die Talente. Schule, Essen, Training – für alles wurde gesorgt. Vor allem für das Training.
Die Akademie war berüchtigt. Die „New York Times“ fand in ihrem Archiv einen Artikel aus der „Sports Illustrated“ aus dem Jahr 1980, der das Trainingscamp wie folgt beschreibt: „Er (Bollettieri, d. Red.) schrie die Kinder an, er beleidigte sie. Und sie arbeiteten härter. Er packte Spieler am Arm und zerrte sie vom Platz. Und sie arbeiteten härter. Wenn der Bollettieri-Tross bei Jugendturnieren erschien, wurde er von den anderen Spielern betrachtet, als wären die Marines gelandet. Sie waren einfach das Produkt von noch viel härterem Training.“
Andre Agassi beschrieb die Akademie in seiner Autobiografie als seelenlose Drillanstalt, als „besseres Gefangenenlager“. Die Räume waren trist und funktional, auch das Leben dort. Diejenigen allerdings, die sich damit arrangieren konnten, schafften nicht selten den Sprung zum Profi.
Einer davon war der Deutsche Tommy Haas, einst Weltranglistenzweiter. Mit 13 Jahren begann er in der Bollettieri-Akademie und biss sich durch. „Du warst ein Träumer und ein Macher, ein Pionier in unserem Sport, du warst einzigartig“, schrieb Haas am Montag bei Instagram.
Der Anlass für den Post von Haas war ein trauriger: Nick Bollettieri starb am vergangenen Sonntag im Alter von 91 Jahren. Er soll in den vergangenen Monaten an starken Nierenproblemen gelitten haben.
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